Einführung:

Stichwort: Brief

Helen Heberer, MdL

Arbeiten von Christian Adam, Pavel Carlsbader, Uta Dorra, Jörg Fischer und Bara Lehmann-Schulz

Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung vom 28. Februar 2008 von Helen Heberer, MdL

Ausstellung vom 28. Februar 2008 bis zum 20. Juni 2008 im Institut für deutsche Sprache (IDS), R5, 6-13, 68161 Mannheim

"Stichwort: Brief" so lautet der Titel einer Ausstellung, die fünf Künstlerinnen und Künstler auf ganz unterschiedliche Weise, hier im Institut für Deutsche Sprache gestalten und interpretieren:

Christian Adam
Pavel Carlsbader
Uta Dorra
Jörg Fischer
und Bara Lehmann-Schulz

Stammen, bis auf Jörg Fischer, alle vom Geburtsdatum her zwar aus der gleichen Künstlergeneration so haben sie dennoch ganz unterschiedliche künstlerische Wurzeln, Entwicklungsläufe und Ausdrucksformen. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Materialien, Formaten, setzen unterschiedlich dramatische Elemente ein, einige ganz leise, zurückhaltend, subtil und ausdrucksstark - andere laut, vital, expressiv - aber alle experimentell und einem einzigen Thema gewidmet - dem Brief.

Alle fünf Künstler setzen sich mit dem Träger des Briefes, dem Papier auseinander, mit industriell gefertigtem, handgeschöpftem oder historischem Material. Es gab schon immer und gibt auch heute völlig andere Übermittler des Wortes, andere Materialien, andere Techniken der Informationsübermittlung, die in den Objekten zitiert oder direkt angesprochen werden.

Der Brief (von lat.: brevis: "kurz") ist eine auf Papier festgehaltene Nachricht, die meist von einem Boten übermittelt wird und eine für den Empfänger gedachte persönliche Botschaft enthält.

Die Anfänge des Verfassens solcher Mitteilungen gehen auf die Babylonier zurück, die Nachrichten in Tontafeln ritzten. Im antiken Griechenland und Rom benutzte man zu diesem Zweck mit Wachs beschichtete Tafeln aus Holz. Seit den ersten Verfassern solcher Mitteilungen hat sicher der Zweck eines Briefes kaum verändert: Er ist immer noch ein Mittel zur öffentlichen Meinungsäußerung (z.B. Leserbriefe in einer Zeitung), eine literarische Form (vgl. Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers", die Paulusbriefe des Neuen Testaments der Bibel) sowie ein Instrument zur Verbreitung amtlicher (z.B. kultusministerielle Schreiben) und Übermittlung persönlicher Nachrichten (z.B.: Liebesbrief). Bereits in der frühen Neuzeit entwickelte sich der Brief auch zum Sammlerobjekt; einer der größten seit damals erhaltenen Sammlungen in Deutschland ist die von Christoph Jacob Trew.

Es sei mir aus aktuellem Anlass erlaubt, noch einen weiteren in Baden Württemberg nicht unproblematischen Bereich anzusprechen.

Historische Briefe und Handschriften beschreiben das klösterliche oder Alltagsleben ganzer Regionen oder Bundesländer, wie z.B. die Handschriftensammlung des Hauses Baden oder jüngst des Hauses Wolfegg. Solche für die Nachkommen und die Bevölkerung identitäts stiftenden Dokumente sind wegen ihres hohen Wertes rasch der Gefahr ausgesetzt, verloren zu gehen, oder veräußert zu werden, wenn nicht eine umsichtige Landesregierung darauf achtet, dass der gesetzlich verankerte Schutz diesen Kulturgütern auch zuteil wird. Die jüngsten Ereignisse lassen darauf schließen, dass sich unsere Landesregierung nicht im Klaren darüber ist, welche Verantwortung sie auf diesem Felde hat.

Nun ja! Aus Sicht der Geschichtswissenschaft ist nur der Privatbrief ein "Brief". Ist der Verfasser bzw. der Empfänger eine Amtsperson oder eine Institution, dann gehört das Schriftstück zu den Urkunden oder Akten.

Briefe waren früher sehr teuer und wurden eher von Amtspersonen oder reichen Kaufleuten verschickt; ab dem 18. Jahrhundert weitet sich der Briefverkehr auf weitere Kreise der Oberschicht aus. (Das 18. Jahrhundert wird daher auch das Jahrhundert der Briefe genannt? Wie man das 21. Jahrhundert wohl einmal nennen wird?) Nur vereinzelt, in wichtigen Angelegenheiten, ließen auch einfache Leute Briefe schreiben. Dazu gab es den Beruf des Briefschreibers.

Es gibt aber auch andere Bedeutungen. Weitere Briefe sind Ehrenbriefe (amtliche Anerkennung für eine ehrenamtliche Tätigkeit), die Briefe im Neuen Testament in der Bibel ("Briefe an christliche Gemeinden", z.B. Paulusbriefe, Brief an die Hebräer) sowie der Meisterbrief.

Die heutige Mailpost und die Post per Brieftaube zeigen das breite Spektrum zum Thema Brief auf und auch .in der Literatur finden wir unzählige Autoren, die durch ihre Korrespondenzen bekannt wurden.

Der Brief war und ist aber immer ein materialisiertes Gespräch. Ein Gespräch mit einem fremden oder vertrauten Menschen oder mit der Öffentlichkeit, bisweilen einem Gespräch mit sich selbst. Ein Gespräch, in dem neben Mitteilungen in besonderer Weise persönlichste Sichtweisen, und zuweilen stärkste Emotionen zum Ausdruck kommen. In ganz eigenem Stil und individuellster Sprache.

Und wie ist es bei den hier ausgestellten Kunstwerken?
Stil und Sprache können- auch hier in den hier ausgestellten Kunstwerken nicht differenzierter sein.

Da verarbeitet zum "Stichwort: Brief" Pavel Carlsbader industrielles Papier, Abschnitte aus Druckschriften und Plakaten. Alle diese Materialien tragen in sich Informationen über den Menschen und die Gesellschaft. In der künstlerischen Bearbeitung erhalten sie eine neue Gestalt und entfalten ihren großen Reichtum an bildnerischen Werten. Bei Pavel Carlsbaders Briefen scheinen altrömische Wachstafeln Pate gestanden zu haben, auch an mittelalterliche Buchmalerei erinnern einige seiner Arbeiten...

In Uta Dorras Briefen ist die Schrift auf eine minimale Aussage von Buchstaben reduziert. Als würden sie schweben, sind sie auf einen schillernden Untergrund aus Japan- und handgeschöpftem Papier gearbeitet. Die Briefe stellen sich dar wie Protokolle starker Emotionen, für die die Worte fehlen. Sie sind verkürzte Mitteilungen, wie man sie auch zwischen vertrauten Personen oder als Erkennungslaute in Gruppen findet.

Bara Lehmann Schulz hat Objekte ausgewählt, die durch die Materialauswahl und Anordnungen einen Bezug zu dem Thema "Stichwort: Brief" haben. Das Papiermaterial dafür stammt aus Originalbriefen und Schriften aus der ganzen Welt, die bis zu 200 Jahre alt sind. Sie wurden vor der Verarbeitung gerissen, geschnitten und geschreddert. Auch Asche, Ruß, Grünspan, Tusche, Tinte, Tipp-ex, Graphit und Lack kamen genauso wie Metallstreifen, Brieftaubenringe und Kunststofftasten zum Einsatz. Die Objekte tragen den Zustand der Veränderung noch in sich, daher spielt auch die Zeit eine große Rolle.

Christian Adam verwendete Textauszüge aus Werken von René Descartes, Vilém Flusser, Leonardo da Vinci, die er als Reliefs in die 3. Dimension brachte und somit die Linearität des alphanumerischen Codes aufhebt. Die Wortbilder erhalten eine neue bildsprachliche Struktur und werden dadurch zu einer bloßen Sinnhaftigkeit verwandelt. Durch Konzentration entsteht hier aus Fläche Raum und die Welt schwingt wieder in ihren Ursprungszustand, die Mehrdimensionalität, zurück.

"Verschlüsselte Mitteilungen", "Botschaften aus dem Jenseits", "Schwarz auf Weiss" sind Metaphern, mit denen Jörg Fischer seine Arbeiten tituliert. Dabei kann auch eine schwarze Scheibe, eher wie ein Ton- als ein Wortträger anmutet, Symbol für eine Äußerung, eine Mitteilung sein.

Alle diese Arbeiten legen Zeugnis ab von der Suche nach einem weit über die Schriftsprache hinausgehenden Ausdrucksmittel.

Sie verleihen dem Brief an sich eine neue Dimension und nehmen mit dem Betrachter einen unvoreingenommenen nonverbalen Dialog auf. Ein lautloses, nicht nachzulesendes Gespräch, das weit mehr Fertigkeiten von uns abverlangt, als das Entziffern von Buchstaben.

Ich wünsche Ihnen allen, den Künstlerinnen und Künstlern, wie auch den Kunstaufnehmenden viele solcher Dialoge durch die hier ausgestellten Bilder und Objekte. Innere lautlose und äußere gesprochene oder gar in Briefen geschriebene...

Und der Ausstellung einen großen Erfolg!

Helen Heberer, MdL