März 2021

Dankesschreiben in Kriegsgefangenschaft

Memorial to P. O. Box 1142 at Fort Hunt Park

Zwischen 1942 und 1945 betrieb der US-Militärgeheimdienst das geheime Verhörlager Fort Hunt in Virginia. Ca. 3.500 Wehrmachtssoldaten wurden in dem Lager kaserniert (vgl. Römer 2012). Das Lager war für ausgewählte Soldaten, von denen sich das US-Militär Zugang zu militärstrategischen und mit fortwährender Dauer zunehmend auch politischen Informationen erhoffte, nach ihrer Gefangennahme in Europa, Afrika oder zur See in der Regel der erste Aufenthaltsort im US-amerikanischen Kriegsgefangenensystem. Die meisten wurden nach wenigen Tagen in reguläre Kriegsgefangenenlager auf amerikanischem Boden verbracht.

Einige Wehrmachtssoldaten kooperierten mit den US-Verhöroffizieren und wurden von diesen u. a. als Informanten eingesetzt, um andere Zelleninsassen auszufragen (vgl. Römer 2012). Andere wiederum schrieben über die Verhöre hinaus Abhandlungen, in denen sie etwa über die politische Lage im nationalsozialistischen Deutschland berichteten. Die Briefkommunikation mit dem US-Militärgeheimdienst nahm dabei Formen an, die denen der behördlichen Kommunikation mit deutschen Staats- und Parteiinstanzen (vgl. Scholl 2019) vergleichbar sind. Der unten dargestellte Brief ist ein Dankesschreiben eines deutschen Kriegsgefangenen an das US-amerikanische Kriegsministerium, der diese sehr spezifische Textsorte exemplifiziert. Er stammt aus dem lange als geheim klassifizierten Aktenbestand des US-Nationalarchivs, der in den 70er Jahren zur Einsicht freigegeben wurde.

Quellentext

Jahreswende 1944/1945

Auf dem Dienstweg.

An

War Department

Washington D.C. 25

Die heutige Jahreswende veranlasst mich, der adressierten Behoerde meinen Dank auszusprechen, dafuer, dass sie mir die Moeglichkeit gab, im Dienste der Vereinigten Staaten, Einer der Vereinten Nationen, mitzuwirken bei der Bekaempfung des Hitler-Deutschlands.

Mein Interesse fuer diese notwendige Arbeit entspringt einer nun 10 – jaehrigen Erfahrung in Deutschland dahingehend, dass es auf der ganzen Welt noch nichts hassenswerteres gab, als dieses System der Blutdiktatur unter dem Deckmantel von "neuen Weltanschauungen".

Meine Arbeit fuer Amerika begann im Augenblick meiner Gefangennahme und wird mit allen Konsequenzen und ohne Kompromisse bis zum Ende durchgefuehrt. Es ist mir jetzt Gelegenheit geboten, Berichte zu schreiben und Plaene fuer eine Wirtschafts Neuordnung in den befreiten Gebieten auszuarbeiten. Meine vielseitigen Erfahrungen, meine Energie und meine Gewohnheit, stets ganze Arbeit zu leisten, verbuergen einen gewissen Erfolg.

Veranlassung dieses Schreibens ist die Aeusserung meines innigsten Wunsches, dass es dem amerikanscihen Volke, gefuehrt vom bisher Groessten seiner Praesidenten, gelingen moege, in wenigen Monaten seine Soehne siegriech heimkehren zu sehen, nachdem dieselben die Welt vom Joch befreit haben, das alle Voelker der Welt bedrohte.

Wo es eben die Umstaende erfordern sollten, hier oder in Europa, stehe ich mit allen Faehigkeiten zur Verfuegung, welche nachzuweisen, ich in diesen Tagen ernstlich bemueht bin.

Amerika's, Praesident Roosevelt's und General Eisenhower's

ergebenster

[F.A.]

aus: NARA, RG 165, Entry P-179A, Box 442.

Kommentar

Die Adressierung und vor allem der Zusatz "Auf dem Dienstweg." zeigen an, dass der Brief in einem Duktus behördlicher Kommunikation geschrieben ist. Einleitend formuliert der Verfasser das Thema seines Briefs: seinen Dank an die Kriegsbehörde. Die "Möglichkeit", die A. anspricht, bezieht sich auf seinen Aufenthalt in Fort Hunt, wo er mehrere Abhandlungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen schrieb bzw. das Verfassen weiterer Aufsätze anbot. So existiert im Archiv eine Liste zu über 50 Themen zu von A. bearbeiteten und vorgeschlagenen Aufsätzen.

A. begründet seine Mitwirkung damit, "dass es auf der ganzen Welt nicht hassenswerteres gab, als dieses System der Blutdiktatur unter dem Deckmantel 'neuer Weltanschauungen'." Die Darstellung erfährt durch die expressive Zuschreibung 'hassenswert' eine starke emotionale Komponente. In dem Kompositum 'Blutdiktatur' verdichtet sich die Evaluation des nationalsozialistischen Regimes. Das Determinans 'Blut' ist eine Vokabel, die im Sprachgebrauch des NS-Apparats ihrerseits sehr produktiv war, z.B. in Anspielung auf die 'Kampfzeit' der NSDAP in 'Blutfahne', in rassistischer Verwendung wie in 'Blutschande', 'Blutschutzgesetz' (vgl. Schmitz-Berning 2007). Die Ablehnung der NS-Herrschaft mit dem negativ deontisch markierten Ausdruck 'Diktatur' wird durch die Determination durch 'Blut' nochmals intensiviert.

Auf diese Begründung folgend formuliert A. seine Bereitschaft für einen bedingungslosen Einsatz und legt, im Stile einer Bewerbung, die Eigenschaften dar, die ihn seiner Ansicht nach zu einer weiteren Kooperation befähigen. Die Huldigung des US-Präsidenten Roosevelt wiederum erscheint gegenüber dem Bewerbungsstil als pathetisch ("seine Soehne siegreich heimkehren zu sehen").

Insgesamt ergibt sich der Eindruck eines Stilmixes aus bürokratischen Anlehnungen, Emotionalisierungen und kultartiger Huldigungen sowie bewerbender Eigendarstellung, die die unter besonderen Umständen entstandene situative Kommunikation kennzeichnen. Die Inhaftierung in einem Kriegsgefangenlager mit besonderen Bedingungen und die persönliche wie politische Umbruchssituation, in der sich der Soldat befindet, brachten sehr spezielle Texte hervor, die sich an andere Textsorten, wie z.B. Dankesschreiben, anbinden, aber auch individuelle Elemente, wie den beschriebenen Stilmix, hervorbrachten.

Literaturverzeichnis

Römer, Felix (2012): Kameraden. Die Wehrmacht von innen. München: Piper.

Schmitz-Berning, Cornelia (2007): Vokabular des Nationalsozialismus. 2., durchges. u. überarb. Aufl. Berlin: de Gruyter.

Scholl, Stefan (2019): Beschwerde- und Bittschreiben von Mannheimer Bürgern während des Nationalsozialismus: Eine Analyse alltagsprachlicher Kollusion anhand von ausgewählten Beispielen. In: Sprachreport (4/2019), S. 6–16.