Projekt "Verstehen in der verbalen Interaktion"

Teilprojekt: (Re-)Produktion sozialer Strukturen in Verstehensprozessen

Bearbeiter: Dr. Ulrich Reitemeier Untersucht wird die Rolle sozialstruktureller Verhältnisse bei der sprachlich-kommunikativen Bearbeitung von Verstehensproblemen. Ausgangspunkt dabei ist, dass sich Bedeutungsgehalte und interaktionsstrukturelle Funktionen sprachlicher Äußerungen nur dann sinnvoll erfassen lassen, wenn sie in ihren sozialstrukturellen Voraussetzungen betrachtet werden. Diese machen sich vor allem in hegemonialen Relevanzsystemen und kulturell verfestigten Deutungsmustern sowie in disparaten Perspektiven der Beteiligten bemerkbar. Daraus können konfliktäre Verläufe resultieren oder solche, in denen eine Interaktionspartei eingepasst wird in ein Relevanzsystem mit höherrangigem und institutionell abgesichertem Geltungsanspruch (z.B. im Behördenkontakt, in Unterrichtssituationen, in der Arbeitswelt usw.). Die zentralen Fragestellungen dieses Teilprojektes lauten: Mit welchen sprachlich-kommunikativen Verfahren werden Verstehensaufgaben von den Beteiligten identifiziert? Welche Folgen haben diese Verfahren für den weiteren Prozess der Verstehenssicherung und der Perspektivenangleichung? Darüber hinaus wird gefragt, mit welchen sprachlich-kommunikativen Verfahren biografisch präformierte Orientierungsrelevanzen von Akteuren in kollektiv geltende Relevanzsysteme und hegemoniale Wissensstrukturen eingepasst werden. Solche Einpassungsvorgänge können sich bspw. in Zuschreibungen sozialer Eigenschaften, in instruierenden, bewertenden und sanktionierenden Äußerungsformen sowie in interdiskursiven Verweisen auf verstehensleitende Erwartungen, positionsgebundene Deutungsmuster und historisch gewachsene Identitäts- und Beziehungskonzepte realisieren. In interaktionssoziologischer Hinsicht ist dabei von Interesse, unter welchen Bedingungen Einpassungen fraglos vonstatten gehen, wie sich Widerstände artikulieren, wann und in welcher Weise Deutungsschemata explikations- und legitimationsbedürftig werden und welche Effekte unterschiedliche Aushandlungsformen für die (Re-)Produktion sozialer Strukturen haben. In theoretischer Hinsicht versucht dieses Projekt einen empirisch fundierten Beitrag zur Mikro-Makro-Problematik des Zusammenhangs von Interaktionsstruktur und Sozialstruktur, genauer: zur Untersuchung des Verhältnisses von Reproduktion und Emergenz bzw. zur Wandelbarkeit sozialer Strukturen in konkreten Interaktionsereignissen, zu leisten. Dies soll methodisch durch einen ethnografisch-gesprächsanalytischen Ansatz erreicht werden. Die Untersuchung verfährt kontrastiv, indem sie unilateral, hierarchisch und tendenziell konfliktär vorgenommene Einpassungen in institutionelle Wissens- und Deutungshorizonte mit konsensuell ausgehandelten und vorauseilend-unterwürfigen vergleicht. Darüber hinaus sollen Einpassungssequenzen aus institutionellen Kontexten verglichen werden mit solchen aus privaten Milieus und informellen Interaktionssituationen. Datengrundlage sind Audioaufnahmen von Gesprächen aus der Migrationsberatung und anderen institutionellen Kontexten, Aufnahmen aus informellen Gesprächssituationen sowie Videoaufnahmen von Lehr-Lern-Interaktionen. Kontakt: Dr. Ulrich Reitemeier, reitemeier(at)ids-mannheim.de