Dezember 2020

Die Weihnachtszeit in der Hitlerjugend

Türplakette des Winterhilfswerks (WHW), Weihnachtssammlung 1936 - 1937. Diese Plaketten wurden gegen eine Spende für das WHW verteilt.

Im Nationalsozialismus war auch in der Weihnachtszeit das Leben von Jugendlichen durch Jugendorganisationen streng organisiert. In den folgenden Zitaten wird dargelegt, wie weihnachtliches Feiern durch Jugendorganisationen der Hitlerjugend im NS verordnet wurde (s. Quelle 3) und wie die Adventszeit durch deren Mitglieder, hier der Jungmädel und des Deutschen Jungvolks, dargestellt wurde (Quellen 1 und 2). Dazu werden die Perspektiven zweier Jugendlicher und eine Ansprache eines Fähnleinführers des Deutschen Jungvolks, eine Unterorganisation der Hitlerjugend, dargestellt und kommentiert. In den Texten der Jugendlichen, die ihrerseits als verordnet (1 & 2) und verordnend (3) charakterisiert werden können und entsprechend zu bewerten sind, lässt sich nachvollziehen, wie auch der vorweihnachtliche Sprachgebrauch durch Bezugnahmen auf NS-Organisationen (z.B. auf das Winterhilfswerk), NS-Organisationseinheiten (z.B. „Pimpf“) oder den Krieg geprägt ist. In den Blick genommen werden hier insbesondere stereotype Geschlechterrollen (1), ein betontes Ehrverständnis (2) sowie die deontische Adressierung von Emotionalität (3), die jeweils eine, aus heutiger Sicht, widersprüchliche Relation ausdrückt bzw. impliziert: Gefühle als (nationalsozialistische) Pflicht.

Quelltext

1) Heimbuch der Jungmädelschaften I und II der Jungmädelgruppe Hameln (1935-1938): Auszug Dezember 1936.

Im Dezember war es still, sanft und nun mal – nach herrlichen Stadtspielen, Weltkrieg, und Politik – äußerst mädchenhaftig, was ja auch mal not tat. „Leise!“ Weihnachts- und Wiegenlieder, weiche Flötenklänge, Tannengeruch, glühender Ofen, knisternde Kerzen und geheimnisvoll – verdächtig raschelndes Papier. Das war so ungefähr unsere Adventsstimmung. Am letzten Sonnabend wurden Weihnachtsmänner, Skiläufer und Engelchen verkauft fürs W.H.W. Am vorletzten feierten sie schaftweise ihre Adventsfeiern.

2) Mein Dienst im Jungvolk (1934-1944).

[1934:] Der erste Dienst war vorüber. Voller Begeisterung konnte ich kaum die Folgenden erwarten. Weihnachten stand vor der Tür und somit auch die Nikolauszeit. Es soll heuer eine grosse Sache zu Ehren dieses „Kinderfreundes“ steigen. Der Hofgarten war der erwählte Platz hierzu. Ich war ein Engel und musste an Knecht Ruprechts Seite gehen. Als neugebackener Pimpf fühlte ich mich dieser hohen Ehre. Zum Geschenk bekam das Jungvolk etliche Luftgewehre.

[...]

Am 1.9.1939 begann dann der Krieg u. mit jedem Kriegsjahr wuchsen die Aufgaben und Schwierigkeiten in der HJ. Vor Weihnachten hatten wir, wie immer, die Sammlung für’s WHW, an die sich eine große Heimaktion anschloss, denn diese Frage wurde immer aktueller.

3) Kriegschronik des Fähnleins Frundsberg (1942-1943).

Liebe Kameraden!

Wieder stehen wir vor einem Kriegswinter, der restlosen Einsatz von uns verlangt. Wir werden uns wie in den Vorjahren, auch jetzt, verstärkt für unsere Kriegsarbeit einsetzen. Der Auftakt ist uns damit gegeben, dass wir Spielzeug für unsere Soldatenkinder herstellen sollen. Auf der Rückseite habe ich ein grosses Pferd abgedruckt, das Ihr in gleicher Grösse viermal aussägen und bemalen sollt. Eure Arbeiten werden genau wie die Arbeiten unserer Pimpfe auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt im Schützenhof ausgestellt werden, und dann muss es ein stolzes Gefühl für Euch, meine Kameraden sein, Kindern, deren Väter an der Front stehen und ihr Leben für das Vaterland einsetzen, eine kleine Weihnachtsfreude bereitet zu haben.

Ich möchte Euch jetzt schon mitteilen, dass ich, wenn Ihr Euch bestens für diese Aktion einsetzt und dafür arbeitet, dieses Jahr eine grosse Weihnachtsfeier durchführen werde. Erst wenn für unsere Soldatenkinder gesorgt ist, haben auch wir das Recht ein frohes Weihnachtsfest zu verleben.

Eure Arbeiten werden am Freitag den 13. November 1942 von Euch gegen Quittung im Heim abgegeben.

Ich wünsche Euch für Eure Arbeit viel Erfolg.

Heil Hitler!

Euer Fähnleinführer.

Klaus F.

(F., Ojgschf.)

Kommentar

Der Auszug aus dem Heimbuch, das von Ingeborg Kropp und ihrer Cousine Irene geführt wurde (vgl. EzG 1), beschreibt „so ungefähr unsere Adventsstimmung“. Die Beschreibung ist atmosphärisch und protokolliert mit Ausnahme der letzten beiden Sätze weniger die eigentlichen Abläufe in der Jungmädelgruppe. Es geht hier viel mehr um einen Ausdruck von Emotionen, von Wahrnehmung. Die Partikelkombination „nun mal“ zeigt an, dass die Adjektive „still“ und „sanft“ als konkrete Merkmale von „mädchenhaftig“ angesehen werden, die mit „herrlichen Stadtspielen, Weltkrieg, und Politik“ kontrastiert werden. Hierin werden Geschlechterrollen typisiert, die sich auch in der Trennung von männlichen und weiblichen Gruppierungen innerhalb der Hitlerjugend wiederfinden. Stereotype Geschlechterrollen waren in der Erziehung „im Geiste des Nationalsozialismus“ (Hitler/Lammers 1936) somit gleichermaßen institutionell festgelegt wie auch alltagssprachlich reproduziert. Die Adventsstimmung ist, dem Eintrag zufolge, ansonsten gefüllt mit Liedern und Musik, Düften und wärmendem Feuer. Ebenfalls herrscht eine gewisse gespannte Aufgeregtheit: „verdächtig raschelndes Papier“ steht metonymisch für Geschenke, die als „geheimnisvoll“ beschrieben werden. Im Kontrast zu den vorangegangenen Eindrücken folgt in den letzten beiden Sätzen kurz die Protokollierung, dass es, im Sinne der nationalen Verpflichtungen, Spendenverkäufe für das Winterhilfswerk (vgl. Beleg des Monats Oktober 2020) gab und dass die Jungmädelschaften ihre Adventsfeiern „schaftweise“ feierten. Hierbei handelt es sich um eine Wortbildung, die auf die kleinsten Organisationseinheiten der Hitlerjugend referiert: Jungmädelschaft, Mädelschaft, Jungenschaft, Kameradschaft (vgl. Jugend) und die somit auf die starke Strukturierung verordneter Festlichkeit hindeutet.

Der zweite Textauszug stammt aus einem Buch, welches die Entstehungsgeschichte der NSDAP, das Gesetz über die Hitlerjugend u.v.m. enthält (vgl. EzG 2). Es wurde an das Deutsche Jungvolk herausgegeben und als Kern beinhaltet es eine in vier Abschnitte eingeteilte (einer für jedes Jungvolk-Jahr) persönliche Chronik eines Pimpfes, wo Ereignisse, Fahrten, Dienste und Beförderungen eingetragen und durch Fotos ergänzt werden konnten, wobei dies entweder recht selten geschah oder nicht viele Exemplare erhalten sind (vgl. ebd.). Auffällig ist die wiederholte Nennung des Hochwertwortes Ehre. Zunächst soll jemandem, dem Nikolaus bzw. „Kinderfreund[]“, Ehre erbracht werden durch „eine grosse Sache“ und später übernimmt der Pimpf selbst eine Funktion als Engel, was für ihn eine „hohe[] Ehre“ sei. Das deontische Potenzial von Ehre liegt also einerseits darin, sie jemandem zu erbringen, und andererseits, sie zu würdigen. Die Belohnung sind dann „etliche Luftgewehre“. Während also in der Jungmädelgruppe „äußerst mädchenhaftig“ Weihnachts- und Wiegenlieder gesungen werden, bekommen die Pimpfe Luftgewehre geschenkt. Die obligatorische Spendensammlung für das WHW ist jedoch eine Aufgabe, die alle Gruppierungen der Hitlerjugend zu erfüllen hatten.

Der Brief des Fähnleins Frundsberg ist an Mitglieder der Hitlerjugend im engeren Sinne, also an Jungen im Alter von 14 bis 18 Jahren, adressiert. Der Brief gibt eine Perspektive darauf, woher und wie die Aufgaben und Aktionen verteilt und geplant wurden, die in den vorangegangenen beiden Auszügen beschrieben sind. Zwei Aspekte sind bei diesem Text von Interesse: Zum einen die Kollektivbildung durch Pronomen, zum anderen die Deontik, die bis in die Gefühlswelt der Adressierten vordringt. Zu Beginn etabliert der Verfasser eine sich selbst einschließende Gruppe mit den Adressierten. Es sind „wir“, die gemeinsam „vor einem Kriegswinter“ stehen und es sind „wir“, die sich „verstärkt für unsere Kriegsarbeit einsetzen.“ Gebrochen und gleichzeitig eindeutig hierarchisch definiert wird diese Gruppe, wenn der Schreiber eine Anweisung formuliert („das Ihr […] bemalen sollt“). Auch Emotionalität wird deontisch adressiert: „dann muss es ein stolzes Gefühl für Euch, meine Kameraden sein“, , für die Kinder zu basteln, deren Väter im Krieg „ihr Leben für das Vaterland einsetzen“. Stolz ist also eine Verpflichtung, die mit nationalistischen Argumenten eingefordert wird. Die hierarchische Gleichsetzung mit „meine Kameraden“ täuscht dabei nicht darüber hinweg, dass das bedingte Gefühl des Stolzes von einer höheren Position aus verlangt wird. Es folgt das Versprechen einer Belohnung, was sich auch als Drohung lesen lässt, da die Durchführung einer „grosse[n] Weihnachtsfeier“ an den Einsatz der Adressierten gebunden ist und der Fähnleinführer allein die Entscheidung trifft, ob ausreichend für die Aktion gearbeitet wurde. In einer konditionalen Satzstruktur stellt der Verfasser nochmal klar, dass das Recht auf ein „frohes Weihnachtsfest“ an die Fürsorge für die „Soldatenkinder“ gebunden ist. Es werden also Normen von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft etabliert, die, legitimiert durch eine institutionelle Statusasymmetrie, auf Verbot und Bestrafung beruhen und zugleich mit nationalistisch-ideologischen Argumenten begründet werden.

Literaturverzeichnis

Primärquellen:

Hitler, Adolf/Lammers, Hans Heinrich (1936): Gesetz über die Hitlerjugend. In: Reichsgesetzblatt. Hrsg. von Reichsministerium des Innern. Berlin: Reichsverlagsamt.

Kriegschronik des Fähnleins Frundsberg (1942-1943). www.jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx= [28.05.2020].

Kropp, Ingeborg/Kropp, Irene (1935-1938): Heimbuch der Jungmädelschaften I und II der Jungmädelgruppe Hameln. www.jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx?bereich=archiv&root=8874&id=10474&redir= [28.05.2020].

Reichsjugendführung (Hrsg.) (1934-1944): Mein Dienst im Jungvolk. www.jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx?bereich=archiv&root=8874&id=11420&redir= [28.05.2020].

Sekundärliteratur:

Editionen zur Zeitgeschichte (EzG 1): Das „Heimbuch der Jungmädelschaften I und II der Jundmädelgruppe Hameln. www.jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx?bereich=archiv&root=8874&id=10470&redir= [08.12.2020].

Editionen zur Zeitgeschichte (EzG 2): Mein Dienst im Jungvolk. www.jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx= [08.12.2020].

Jugend! Deutschland 1918 – 1945 (Jugend): Gliederung. jugend1918-1945.de/portal/Jugend/thema.aspx [08.12.2020].