"Fanpost" an den Führer

Albert Reich (1881–1942) – Entwurf Hitler-Ehrung

Während der gesamten Herrschaftszeit des NS-Regimes wurde die Person Hitlers stark in den Vordergrund gerückt und ein regelrechter „Führerkult“ geschaffen. Durch sein Auftreten als Redner und seine ständige Präsenz in den Medien gelang es Hitler tatsächlich, bedeutende Teile der Bevölkerung in seinen Bann zu ziehen. Er löste eine Art von Begeisterung aus, die sich unter anderem darin offenbarte, dass zahllose Briefe an ihn adressiert wurden. Der Inhalt dieser Briefe war jedoch sehr vielseitig und bestand keineswegs ausschließlich aus Sympathiebekundungen. Er reichte von eher formalen Anfragen, bis hin zu emotional aufgeladenen Liebesbriefen, in denen Frauen dem scheinbar ewigen Junggesellen Hitler ihre Verehrung und Treue offenbarten. Eine weitere Besonderheit, auf die dieser Beleg des Monats eingehen soll, sind Briefe von Kindern und Jugendlichen an Hitler. So konnten Schreiben aus gänzlich verschiedenen Altersgruppen dokumentiert werden. Inwieweit die Kinder aus eigenem Antrieb schrieben oder auf die „Ermutigung“ von Eltern, Lehrern oder Jugendorganisationen hin, lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Briefen der jüngeren Kinder waren oft gemalte Bilder beigefügt, während sowohl Jungen als auch Mädchen im Jugendalter ihre Treue zu Hitlerdeutschland versicherten. Oftmals bezogen sich die Briefe auf eine vorangegangene Großveranstaltung, bei welcher die Kinder und Jugendlichen Hitler gesehen hatten, bzw. in manchen Fällen sogar mit ihm interagieren konnten. Auch sprachlich lassen sich in den Briefen einige wiederkehrende Muster erkennen, die am folgenden Beispiel aufgezeigt werden sollen. Es handelt sich um ein undatiertes Schreiben einer 15-Jährigen aus der Nähe von Wien, die sowohl mit einem beruflichen, als auch mit einem privaten Anliegen an Hitler schreibt.

Quellentext

15-Jährige will Spionin werden
Brief, maschinengeschriebene Abschrift, undatiert
Theresia M., Korneuburg bei Wien, Österreich, BArch NS 51/71
(Orthografie und Grammatik wurden aus dem originalen Quellentext übernommen.)


Lieber Onkel Adolf!
Bitte Sei nicht böse und weise diesen Brief nicht zurück. Ich weiß das es jetzt mit den ruhigen Zeiten bald aus ist, vielleicht schon in einigen Tagen. Trotzdem Du kein Blut vergießen willst. Aber vielleicht kann ich Dir ein bißchen helfen. Ich bin jetzt 4 Wochen im Landdienst gewesen und möchte jetzt so gerne Spionin werden. Und ich glaube wenn ein älteres Mädchen Spionin ist, so wird man es bald erkennen. Ich aber bin noch sehr jung. Bei mir wird man es nicht glauben. Ich bin mit meinen 15 Jahren noch ziemlich klein. Denn ich habe mich von meiner Krankheit noch nicht so gut erholt. So bin ich kräftig und gesund. Meine Krankheit ist die „Elternliebe“. Mir fehlt sie. Also Onkel Adolf darf ich? Wenn du „nein“ sagst so ruinierst Du mein ganzes Leben. Denn das ist mein Beruf den ich mir gewählt habe. „Spionin“. Kämpfen und Sterben für „mein Vaterland“ und „meinen Führer“. Onkel Adolf ich hätte noch eine Bitte. Darf ich Dir ein einzigesmal die Hand drücken? Ein einzigesmal. Das wäre mein schönster Tag. Einmal bei Dir stehen dürfen, so, wie viele andere und Dir unseren Landesgruß zu sagen. Onkel Adolf ich warte mit Herzklopfen an den Tag an dem Du mir schreibst und ich den Brief in der Hand halte. Mag er freudiges oder trauriges bringen. Das ist mir einerlei, es ist ein Brief' von Dir. Bitte sei über mein Schreiben nicht erzürnt und antworte mir so bald als möglich.


Es küsst und grüßt Dich mit
Heil Hitler
Theresia M.
Niederdonau, Korneuburg b/Wien

Kommentar

Gleich zu Beginn des Briefes fällt auf, wie Hitler von der 15-Jährigen angesprochen wird. Sie duzt Hitler nicht nur, sondern verleiht ihm zusätzlich auch das Prädikat „Onkel“, und schließt den Adressaten somit in einen familiären Kontext ein. Auch das einleitende „Lieber“ deutet auf ein nicht-formales Schreiben hin. Die Bezeichnung von Hitler als „Onkel“ findet sich in einer Vielzahl derartiger Briefe, in denen ihm buchstäblich die Rolle eines nahbaren „Familienmitgliedes“ zugeschrieben wird.
Zunächst entschuldigt sich die Jugendliche dafür, dass sie Hitler in diesen Zeiten schreibt. Zwar liegt keine genaue Datierung des Schreibens vor, die Formulierung des Mädchens, dass es „mit den ruhigen Zeiten“ bald aus sei, legt jedoch die Vermutung nahe, dass der Brief kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen geschrieben worden sein könnte.  Die Einschätzung, dass ein Ende der ruhigen Zeiten bevorstehe, trotz der Tatsache, dass Hitler kein Blut vergießen wolle, deutet darauf hin, dass die Jugendliche gut über das politische Tagesgeschehen informiert ist. In öffentlichen Reden verwies Hitler stets auf seine angebliche Friedensliebe.
Anschließend bringt sie jedoch sogleich ihr Anliegen vor. Sie berichtet von ihrer Zeit beim Landdienst und dem daraus gewachsenen Wunsch, als Spionin zu dienen. Während des Landdienstes arbeiteten Jugendliche in meist landwirtschaftlichen Betrieben und wurden weiterhin im nationalsozialistischen Sinne indoktriniert. Obwohl sie für eine derartige Rolle eigentlich noch zu jung ist, strotzt sie vor Tatendrang und legt ihr junges Alter gar als strategischen Vorteil aus.
Dann eröffnet die Jugendliche interessante Einblicke in ihr Privatleben. Sie berichtet von einer Krankheit, die durch fehlende „Elternliebe“ ausgelöst sei. Fühlte sich das Mädchen durch ihre Eltern nicht ausreichend unterstützt und geliebt? Standen die Eltern dem Nationalsozialismus möglicherweise skeptisch gegenüber? Suchte das Mädchen deswegen die Nähe und Aufmerksamkeit Hitlers? All diese Fragen können nicht beantwortet werden – auch deshalb nicht, weil das Schreiben undatiert ist. Fest steht jedoch, dass die Jugendliche ihren „Onkel Adolf“ um Erlaubnis fragt, den Beruf der Spionin auszuüben. Da es ihr Herzenswunsch sei, für ihr „Vaterland“ und ihren „Führer“ zu „kämpfen“ und zu „sterben“, so würde es ihr Leben ruinieren, wenn Hitler ihr den Wunsch verwehren würde. Der Berufswunsch „Spionin“ ist so stark ausgeprägt, dass sich die Formulierung der Jugendlichen von einer Bitte im ersten Teil, zu einer erpresserischen Drohung im zweiten Teil wandelt.
Im letzten Teil des Schreibens wendet sich die Jugendliche von ihrem Wunschberuf ab und schildert eine private Bitte. Für sie wäre es das Schönste, Hitler ein einziges Mal zu treffen und ihm die Hand zu drücken. Bei der Äußerung dieses Wunsches bezeichnet sie Hitler erneut als „Onkel Adolf“. Der Brief schließt damit, dass die Jugendliche ihre Hoffnung auf ein Antwortschreiben darlegt. Sie verabschiedet sich sowohl mit dem gängigen „Heil Hitler“, als auch mit den persönlichen Worten „Es küsst und grüßt dich“. Dies stellt eine bemerkenswerte Kombination einer familiär-vertrauten konventionellen mit der offiziellen staatlicherseits vorgegebenen Grußformel dar.

Dieses ausgewählte Schreiben beinhaltet einige typische Merkmale, die immer wieder in Briefen von Kindern und Jugendlichen zu finden sind. Zunächst fällt das scheinbar vertraute Verhältnis zum Adressaten auf, welches sich vor allem in der Bezeichnung „Onkel Adolf“ zeigt. Zudem wird der Wunsch geäußert, Hitler in der Zukunft einmal persönlich treffen zu können. Außerdem ist es der Jugendlichen wichtig, auf ihre Begeisterung für „Führer“ und „Vaterland“ und ihr Engagement in den NS-Jugendorganisationen aufmerksam zu machen.
Es ist leider nicht bekannt, ob der Brief jemals von Hitler gelesen worden ist. Ein Großteil der Schreiben an den Führer wurde jedoch aussortiert, bevor der Adressat einen Blick darauf werfen konnte.
Die überlieferten Briefe stellen für heutige Leser*innen wertvolle Quellen dar, die Einblicke über die Fanatisierung von Kindern und Jugendlichen, sowie deren Wahrnehmung von Hitler vermitteln können.

Literaturverzeichnis

Primärquellen:

Ebeling, Theresa/Heidrich, Maximilian/Jakob, Kai u.a. (Hg.): "Geliebter Führer". Briefe der Deutschen an Adolf Hitler, Vergangenheitsverlag, Berlin 2011.

Eberle, Hendrik (Hg.): Briefe an Hitler: Ein Volk schreibt seinem Führer. Unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven – zum ersten Mal veröffentlicht. Lübbe-Verlag, Köln 2007.

Sekundärliteratur:

Horan, Geraldine: „Lieber, guter Onkel Hitler“: A Linguistic Analysis of the Letter as a National Socialist Text-Type and a Re-evaluation of the “Sprache im/des Nationalsozialismus” Debate, in: Davies, Peter/Hammel, Andrea (Hg.): New Literary and Linguistic Perspectives on the German Language, National Socialism, and the Shoa (Edinburgh German Yearbook, Volume 8), Rochester/New York 2014, S. 45-58.

Geppert, Alexander C.T.: „Dear Adolf!“ Locating Love in Nazi Germany, in: Passerini, Luisa/Ellena, Liliana/Geppert, Alexander C.T. (Hg.): New Dangerous Liaisons. Discourses on Europe and Love in the Twentieth Century, New York/Oxford 2010, S. 158-177.