April 2020

April 1933. Der 20. April in der NS-Semantik

Parade zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers 1939, SS-Leibstandarte "Adolf Hitler" vor dem Brandenburger Tor

Kein anderes Ereignis des nationalsozialistischen Festkalenders repräsentiert den Führerkult um Adolf Hitler (vgl. Kershaw 1999) derart verdichtet wie der 20. April. Tatsächlich finden sich bis heute Neonazis zusammen, um diesen Tag für Demonstrationen zu nutzen. Während des „Dritten Reiches“ erreichten die Reichskanzlei anlässlich Hitlers Geburtstag neben materiellen Geburtstagsgeschenken Tausende von Glückwunschschreiben. In kaum einer Textsorte wird sprachlich greifbarer, in welch hohem Maße der Kult um den „Führer“ bei weiten Teilen der Bevölkerung verfing. Die Schreiben, die ja weitgehend aus freien Stücken verfasst und abgesendet wurden, zeugen von Begeisterung, Verehrung, einem ins Religiöse gehenden Glauben sowie einer enormen emotionalen Bindung an die Person Hitlers – oftmals vorgebracht in Gedichtform.

Bei der Betrachtung der folgenden Quellen, in denen Adolf Hitler glorifiziert wird, ist zu beachten, dass sie lediglich einen – wenngleich wichtigen – Ausschnitt der historischen Realität abbilden. Die Verehrung seiner Person war keinesfalls „total“, es gab zeitgenössisch ebenso Kritik an der Person und Politik Adolf Hitlers, vielfältig registriert in den Berichten sozialdemokratischer und anderer sozialistischer Gruppen sowie den „Stimmungsberichten“ des Regimes. Aber auch in Tagebüchern und privaten Briefen verfolgter oder dissidenter Akteure sowie in Texten des Widerstands wurde Hitler kritisiert, lächerlich gemacht und der Kult um seine Person kritisch reflektiert.

Quellentext

Quellentext 1

Agnes S. an Adolf Hitler, April 1933, in: Ebeling u.a. (Hg.), „Geliebter Führer“, S. 133.

„Unserem hochverehrten Reichs- und Volkskanzler Adolf Hitler zum 20sten April 1933 gewidmet von Fr. Agnes S.

Ich grüße Dich, Heil Hitler, dreimal Heil!
Dir ward das schönste Erdenlos zuteil.
Denn was kann schöner, was erhabener sein,
Als so sein Volk vom schwersten Druck befrein?
Durch Kampf zum Sieg! Gottlob es ist erreicht,
Die Fesseln sind gesprengt und Deutschland steigt!
Heute jubelt Dir das ganze Volk entgegen,
Es bittet für Dich zum Schutz und Segen,
Um langes Leben, dass Du noch erfüllst,
Das Deutschland werde groß, wie Du es willst!
Vertrauend hängt das Volk dem Führer an,
Es fühlt: Du bist allein der rechte Mann!
In Liebe und in Treue sind wir Dein,
Wir wollen Deutsche, echte Deutsche sein!“

Quellentext 2

W. von Zezschwitz an Adolf Hitler, 8.4.1945, abgedruckt in: Eberle, Briefe, S. 337-338.

„Mein Führer!
Vor Eintritt in mein 79. Lebensjahr, also schon in hohem Alter, darf ich Ihnen wohl noch einmal in dankbarster Erinnerung an den gemeinsamen Kampf vor mehr als 23 Jahren aus Anlass der bevorstehenden Feier Ihres 56. Geburtstages von ganzem Herzen, zugleich auch im Namen meiner Frau und unserer zahlreichen Familie, unsere aufrichtigen Glück- und Segenswünsche darbringen.
Der 20. April fällt diesmal in eine Zeit, in welcher Ihre so oft erprobte und bewiesene Willensstärke dieses Kampfes von uns Volksgenossen wohl die allgrößte Spannkraft erfordert.
Möchte es doch, wie wir alle zuversichtlich hoffen, Ihrer so gemessen abwartenden Führung im richtigen Zeitpunkt beschieden sein, bei vollster Gesundheit dem in Ost und West so weit in deutsche Landstriche eingedrungenen Feind ein zwingendes Halt! zu gebieten, dadurch unser so arg bedrängtes Volk vor der ihm vom Feinde zugedachten Niederlage zu bewahren, den weiteren Kampfwillen des Feindes niederzuzwingen und so die Zukunft des nationalsozialistisch
umgestellten Großdeutschlands im Zusammenhange mit der Ordnung im übrigen Europa wesentlich anders zu gestalten, als es sich im frechen Wahne des auch jetzt wieder so maßlos überheblichen Weltjudentums darstellt.
Dabei erfülle Sie, mein Führer, ein weiteres göttliches Walten zur Erreichung Ihrer großen Ziele!
Sieg Heil! Sieg Heil!
Ihr in Dankbarkeit und Treue ergebener Pg. Justizrat W. von Zezschwitz“

Kommentar

Ähnlich wie tausende weitere Menschen überbrachte Agnes S. ihre Geburtstagswünsche an Adolf Hitler in lyrischer Form. Schon die Widmung ist äußerst aussagekräftig: das Possessivpronomen („Unserem“) sowie der inoffizielle Zusatz „Volkskanzler“ weisen bereits auf die Vorstellung einer innigen Verbundenheit zwischen „Volk“ und „Führer“ hin, die im Gedicht noch weiter ausgeführt wird.

Oft anzutreffen in Huldigungsschreiben an Hitler ist, wie hier, die Du-Form, die eine persönliche Vertrautheit suggeriert. Im ersten Teil reproduziert die Verfasserin zentrale Elemente und Konzepte der „Kampfzeit“- und Aufstiegsnarrative der nationalsozialistischen „Bewegung“ („Durch Kampf zum Sieg!“), die im weiteren Verlauf noch in die Zukunft verlängert werden („Deutschland werde groß, wie Du es willst“). Durch den zweiten Teil zieht sich erneut das Leitmotiv der engen Verbindung zwischen „Volk“ und „Führer“.

Interessant ist hierbei das Emotionsvokabular, mit dem dieses Verhältnis konstruiert wird („Vertrauend“, „Es fühlt“, „Liebe“, „Treue“). Die Schlusspassage enthält noch einmal ein absolutes Treue- und Willensbekenntnis. Das anvisierte Kollektiv („Deutsche, echte Deutsche“) birgt dabei gleichermaßen Inklusions- wie Exklusionsdimensionen, da es zugleich auf „nicht-echte Deutsche“ verweist.

Bis kurz vor Kriegsende schickten Menschen Glückwünsche und Unterstützungsschreiben an die Reichskanzlei und die Privatkanzlei Adolf Hitlers, auch wenn die Anzahl der Schreiben mit zunehmender Kriegsdauer zurückging. 

In nebenstehendem Schreiben sind die Durchhalteappelle des Regimes aus der zweiten Kriegshälfte reformuliert, die hier individuell angeeignet und in Zuversichtsäußerungen transformiert werden. Ein weiteres Mal steht die Verbindung vom – nunmehr „so arg bedrängte[n]“ – „Volk“ und dessen „Führung“ durch Adolf Hitler im Zentrum. Ihm traut der Gratulant zu, den schon „so weit in deutsche Landstriche eingedrungenen Feind“ doch noch besiegen zu können.
Selbst Gestaltungsentwürfe für eine nationalsozialistische Zukunft scheinen noch möglich. Diese werden den imaginierten Plänen „des auch jetzt wieder so maßlos überheblichen Weltjudentums“ gegenübergestellt – ein Widerhall der antisemitischen NS-Kriegsschuldpropaganda.

Schließlich konnotiert der Verfasser seine Siegeswünsche religiös („Dabei erfülle Sie, mein Führer, ein weiteres göttliches Walten“), anknüpfend an einen Diskursstrang, der den „Führer-Mythos“ von Anfang an begleitete: Hitler als „Auserwählter“, als „Messias“, als von Gott Geschickter.
Im Vergleich zu den massenhaften Huldigungsschreiben, die in den Jahren 1933 bis 1939 und auch noch in den ersten Kriegsjahren an Hitler geschickt wurden, muss dieses Schreiben aus dem Frühjahr 1945 eher als Ausnahme gewertet werden. Und dennoch ist es aussagekräftig für die Tatsache, dass die Person Adolf Hitlers bis zum Kriegsende (und in die Nachkriegszeit hinein) von jenen bedeutenden Teilen der Bevölkerung, die ihn bis dahin unterstützt hatten, große Zustimmung erhielt.

Literaturverzeichnis

Primärquellen:

Ebeling, Theresa/Heidrich, Max/Jakob Kai u.a. (Hg.): „Geliebter Führer“. Briefe der Deutschen an Adolf Hitler, Berlin 2011.

Eberle, Henrik (Hg.): Briefe an Hitler. Ein Volk schreibt seinem Führer. Unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven – zum ersten Mal veröffentlicht, Bergisch Gladbach 2007.

Sekundärliteratur:

Kershaw, Ian: Der Hitler-Mythos. Führerkult und Volksmeinung, Stuttgart 1999.