Theoretischer Rahmen

Beispielanalysen

Die Identifikation wortinterner Grenzeffekte wie in (7a) beruht auf der Feststellung korrelierender Verletzungen kanonischer phonologischer Lautmuster wie in (7b). Insbesondere handelt es sich um Verletzungen, die auf morphologisch determinierte prosodische Gruppierungen segmentaler Struktur hinweisen. So verletzt der (mögliche) Hauptton auf der ersten Silbe in dem deutschen Wort póstindustriell die Generalisierung, dass gewöhnlich der wortfinale Fuß den Hauptton trägt (vgl. Postulát, Forélle). Diese Verletzung deutet darauf hin, dass das Präfix ein eigenes phonologisches Wort bildet, das im Deutschen in den meisten Konstruktionen prominenter ist als das nachfolgende phonologische Wort (vgl. vórindustriell, schwérindustriell):

Die Analyse des initialen Hauptakzents als Evidenz für die prosodische Repräsentation in (7) wird unterstützt durch das Auftreten der des Glottisverschlusses, bzw. der Glottalisierung des Vokals. Nach Konsonant findet sich diese Lauterscheinung, in (7a) durch die mit eckigen Klammern markierte phonetische Transkription dargestellt, ausschließlich bei Vokalen in der initialen Position einer Silbifizierungsdomäne. Sie zeigt somit an, dass der vorangehende Konsonant zu einer getrennten Domäne gehört.

Die Besonderheiten in der Aussprache des Worts postindustriell (vis-à-vis Postulat) deuten somit auf die morphologischen Strukturen in (8) und die Bündigkeitsbeschränkungen in (9) hin ("L" bedeutet 'linke Grenze', "R" bedeutet 'rechte Grenze').

Angewendet auf die Beispiele in (8) ergeben sich die in (7) abgebildeten bündigen Strukturen.

Im Gegensatz zu den Gegebenheiten im Deutschen weist das entsprechende morphologisch komplexe Wort postindustriel im Französischen keinerlei Grenzeffekt auf, sondern bildet, ähnlich wie Postulat im Deutschen, eine einheitliche prosodische Domäne.

Selbst ganze Sätze wie in (11) scheinen im Französischen einheitliche Silbifizierungsdomänen zu bilden (cf. Pulgram 1970):

Allerdings trügt der Eindruck, dass Bündigkeit im Französischen zumindest phrasenintern keine Rolle spielt. Vergleicht man die Aussprache von zusammengesetzten Wörtern wie postromantique 'postromantisch' und Simplizia wie estragon  'Estragon', so zeigen sich deutliche Unterschiede, die auf die prosodischen Organisationen in (12) schließen lassen (z.B. das längere und stärker artikulierte /ʀ/ in initialer Position in (12a) verglichen mit der nichtinitialen Position von /ʀ/ in (12b).

Die Daten zeigen entsprechend, dass analoge morphologische Strukturen im Deutschen gleich, im Französischen hingegen unterschiedlich prosodisch strukturiert werden. Während im Deutschen Wörter mit modifizierenden Präfixen stets Grenzeffekte zeigen (vgl. die Aussprache der Verbindung s-t-r in po[st.r]omantisch versus a[s.tr]onomisch), so ist das Auftreten solcher Effekte im Französischen abhängig von der phonologischen Struktur der beteiligten Konstituenten, insbesondere der Segmente an den jeweiligen Morphemgrenzen.

Es zeigt sich, dass im Französischen nur dann keine wortinternen Grenzeffekte auftreten, wenn ein konsonantfinales einem vokalinitialen Morphem vorangeht. Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass Bündigkeitsbeschränkungen auch im Französischen eine Rolle spielen, nur sind sie weniger wichtig als die Markiertheitsbeschränkung ANSATZ (Jede Silbe braucht einen Ansatz). Die Kategorie 'PCAT' in (14) steht für eine noch genauer zu spezifizierende prosodische Kategorie: