Thomas Stolz (Universität Bremen)
Europäische Besitzungen: Areallinguistische und typologische Gedanken zur gespaltenen Possession
Abstract
Den Sprachen Europas werden oft ganz pauschal Eigenschaften abgesprochen, die auf anderen Kontinenten hingegen gang und gäbe zu sein scheinen. So stellt Nichols (1992) Europa als eine Zone dar, in der die grammatische Unterscheidung von veräußerlichem (= alienablem) und unveräußerlichem (= inalienablem) Besitz völlig unbekannt sei. In eine ähnliche Richtung geht die Annahme Haspelmaths (2001), dass eines der (zusätzlichen negativen) Kennzeichen für die Mitgliedschaft von Sprachen in dem von ihm postulierten SAE-Sprachbund die Absenz der Alienabilitätskorrelation sei. Geht man oberflächlich von den bekannten Gegebenheiten etwa im Deutschen aus, befinden sich die beiden zitierten Autoren im Recht.
Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass Europa keineswegs zur Gänze dem Bild einer Sprachenlandschaft entspricht, in der possessivische Systeme keine semantisch o.a. motivierte Gliederung aufweisen. Zum einen gibt es sehr wohl Sprachen, die grammatisch relevante Unterscheidungen vornehmen, bei denen die Alienabilitätskorrelation wenigstens mittelbar beteiligt ist. Zum anderen wird die Phänomenologie wesentlich reichhaltiger, wenn man anders als beispielsweise Stassen (2009) nicht nur die primären Kategoriensymbolisierungen berücksichtigt, sondern auch scheinbar nachrangige Konstruktionen in Betracht zieht, da nur dann sinnvoll über Konzepte gesprochen werden kann (Heine 1997 und jetzt auch die Beiträge in McGregor 2009).
In meinem Beitrag, der sich auf die von Stolz/Kettler/Stroh/Urdze (2008) gewonnenen Einsichten beruft, werde ich zu beiden Punkten mit empirischen Belegen aus einer Vielzahl von überwiegend europäischen Sprachen (unterschiedlicher genetischer Zugehörigkeit) Stellung beziehen und auf diesem Wege die areale Gliederung Europas für den possessivischen Bereich vorstellen. Darüber hinaus ziehe ich allgemeine Schlussfolgerungen, die einerseits den sprachwissenschaftliche Begriff der Possession und andererseits die Theorie und Methodologie der typologischen Sprachforschung betreffen.
Literatur
Haspelmath, Martin. 2001. "The European linguistic area: Standard Average European." In: Haspelmath, Martin et alii (eds.), Language Typology and Language Universals. Vol. 2. Berlin: de Gruyter, 1492-1510.
Heine, Bernd. 1997. Possession. Cognitive Sources, Forces, and Grammaticalization. Cambridge: Cambridge University Press.
McGregor, William B. (ed.). 2009. The Expression of Possession. Berlin, New York: Mouton de Gruyter.
Nichols, Johanna. 1992. Linguistic Diversity in Space and Time. Chicago: Chicago University Press.
Stassen, Leon. 2009. Predicative Possession. Oxford: Oxford University Press.
Stolz, Thomas; Kettler, Sonja; Stroh, Cornelia & Urdze, Aina. 2008. Split Possession. An Areal-Linguistic Study of the Alienability Correlation and Related Phenomena in the Languages of Europe. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins.