Ulrich Heid (Universität Stuttgart)
Korpusbasierte Beschreibung der regionalen Variation von Kollokationen:
Deutschland – Österreich – Schweiz – Südtirol
Abstract
In dem Vortrag wird über ein Verfahren berichtet, mit dem aus Textkorpora Kollokationskandidaten extrahiert werden können, die man als typisch für die Zeitungssprache von Österreich, der Schweiz oder Südtirol auffassen kann. Datengrundlage sind Zeitungskorpora (1987-2000) aus Deutschland (über 300 Millionen Wörter), Österreich (ca. 360 M), der Schweiz (ca. 180 M) und Südtirol (ca. 60 M), zum Teil aus einer Vorversion des Deutschen Referenzkorpus des IDS.
Als Kollokationen fassen wir phraseologische Kombinationen aus zwei Lexemen auf, die in einer (ggf. regionalen) Sprechergemeinschaft konventionalisiert und daher in Korpustexten statistisch signifikant sind, und deren Elemente (Hausmann 1979: Basis vs. Kollokator) semantisch ungleichgewichtig sind: Basen haben in der Kollokation dieselbe Bedeutung wie außerhalb, während Kollokatoren eine kollokationstypische Bedeutung haben. Viele Kollokationen haben eine prädikationsartige Struktur (der Kollokator modifiziert die Basis), und fast alle lassen sich einem regelhaften syntaktischen Muster zuordnen; wir untersuchen insbesondere Verb+Objekt-Kollokationen (z.B. CH: Einsitz nehmen, Entscheid+fällen) und Adjektiv+Nomen-Kollokationen (z.B. Südtirol: fixe Stelle, fixer Professor).
Als typisch für eine "regionale" Varietät fassen wir Frequenzregionalismen auf, also Wortkombinationen, die in Texten einer bestimmten Region (D, A, CH, ST) proportional häufiger auftreten als in denen einer anderen. Im Sinne von Ammons (1995, 2004) Polyzentrizitätshypothese nehmen wir stark vereinfachend an, dass die verschiedenen in unserem Korpus enthaltenen Zeitungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol jeweils zusammen so etwas wie eine "regionale Zeitungssprache" repräsentieren. Bei der Kollokationsextraktion interessieren uns allerdings nicht diejenigen Kollokationskandidaten, deren Basen landestypische "Realien" bezeichnen (CH: Kanton, A: Bundesheer); ebenso nur am Rande diejenigen, die lexikalische Regionalismen enthalten (A: betrügerische Krida ("Bankrott"), Südtirol: Erhebungen ("Ermittlungen") aufnehmen): hier ist nur die Kollokatorenwahl interessant (z.B. CH Zustupf leisten vs. D: Zuschuss geben). Wir zielen statt dessen insbesondere auf "lexikalisch unauffällige" Kollokationskandidaten: in der Schweiz ist z.B. tiefer Preis prominenter als niedriger Preis. Ähnlich in Südtirol: Informationen können eingeholt werden, CH: griffige ("wirksame") Massnahme.
In dem Vortrag wird zunächst der Gegenstandsbereich beschrieben: Kollokationen und Regionalismen in Wortschatz und Phraseologie. Dann werden die korpuslinguistischen Werkzeuge präsentiert, die zur Extraktion der Kandidaten verwendet werden: wir wollen nicht nur die Wortverbindungen selbst identifizieren, sondern, an der Schnittstelle zwischen Lexikon und Grammatik, ihre morphosyntaktischen Präferenzen aufzeigen (z.B. ein/sein Comeback geben), da solche Präferenzen Anhaltspunkte für Bedeutungs- oder Verwendungsunterschiede sein können. Im Zusammenhang mit der Diskussion und manuellen Klassifizierung der Extraktionsergebnisse muss auch überlegt werden, mit welchen anderen, ggf. synonymen Wörtern und Kollokationen ein als häufig ausgewiesener regionaler Kollokationskandidat verglichen werden muss: CH markanter Anstieg steht in einer Reihe mit den in Texten aus Deutschland seltenen Kollokationen markante Zunahme, Verbesserung, etc., während in Texten aus Deutschland markant eher Kollokator von Kinn, Gesicht, Profil oder Punkt ist; hat markant in der schweizer Varietät eine spezielle Lesart?
Literatur:
Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: das Problem der nationalen Varietät. Berlin/New York: De Gruyter.
Ammon, Ulrich/Bickel, Hans/Ebner, Jakob et al. (2004): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Lichtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin: Walter de Gruyter.
Hausmann,Franz Josef (1979): "Un dictionnaire des collocations est-il possible", in: Travaux de linguistique et de littérature, XVII, 1, 187-195.