Schrift an Bild im World Wide Web. Articulirte Pixel und die schweifende Unbestimmtheit des Vorstellens
Abstract
Im Verlauf einer langen mediengeschichtlich gestützten Entwicklung wurde die ursprünglich unmittelbare Kommunikation in direkter Blickstellung nach und nach ergänzt durch vielfältige Formen zerdehnter Kommunikation mit Schrift und Buchdruck. Mit der dadurch bedingten kommunikativen Abstraktion (Loslösung der Botschaft von Körper und Situation) traten "Körper" und "Geist" vordergründig immer mehr auseinander. Seit einem guten Jahrhundert nun eröffnen audiovisuelle und digitale Medien mit ihren wiederum je spezifischen Konstellationen materieller, medialer und modaler Bedingungen eine dritte Phase diesmal verdichteter Kommunikation. In der damit eingeleiteten (und aktuell beschleunigten) Rückeroberung von Körperlichkeit und Situationalität (embodiment und situatedness) durch technische Simulation unmittelbarer ("natürlicher") Kommunikation wird deutlich, wie die materielle Grundlage die geistige Form des Zeichens (in Ausdruck und Inhalt) mit prägt.
Der Vortrag zeigt das exemplarisch an Schrift. Unter dem Einfluss sowohl wachsender gesellschaftlicher Bedürfnisse (schnelle Orientierung in komplexen Informationsfluten) als auch dreier zunehmend technisierter Faktoren, nämlich Materialität (Pixel), Medialität (Bildschirm) und Modalität (Hypermedia), ändert sich Schriftlichkeit. An charakteristischen Beispielen aus dem WWW als derzeit avantgardistischster Kommunikationsform wird erläutert, wie (1) der (soweit technisch bedingte) Unterschied zwischen Schrift und Bild schwindet und in der Folge (2) Schrift einige Eigenschaften von Bildern annimmt, Koalitionen mit ihnen ein- oder ganz darin aufgeht, (3) die visuelle Erscheinung und Umgebung von Schrift ihre Bedeutung mit trägt, (4) Schrift ihre innere Form von hierarchischer zu modularer Organisation ändert und (5) Zusammenhang (Kohärenz und Kohäsion) mehr durch visuelle Gestaltung der Sehfläche als durch sprachliche Mittel erreicht wird: Design entlastet (und schwächt) Grammatik.