Historische Semiotik des Leibes in der Kommunikation: Zur Dynamisierung von Körper und Sprache im 18. Jahrhundert
Abstract
Die Wahrnehmung menschlicher Kommunikation ist historisch geprägt; entsprechend veränderlich sind die Normen und Werte, an denen kommunikatives Verhalten zu unterschiedlichen Zeiten gemessen wird. Die "Entdeckung" der Multimodalität menschlicher Kommunikation in der gegenwärtigen Gesprächsforschung und die damit verbundene neue Aufmerksamkeit auf die Dimension des Raumes als Ressource wie als Produkt kommunikativen Handelns führen derzeit auch im wissenschaftlichen Zusammenhang zu einem neuen Verständnis von Kommunikation und zu einer veränderten Beurteilung sprachlicher Phänomene. In frühmoderner Zeit ist der gesellschaftliche Blick auf den kommunizierenden Menschen zunächst auf den Körper gerichtet: Es ist die Beredtsamkeit des Leibes, welche in Conduite und Conversation als ausschlaggebend erachtet wird. Sprachlichkeit wird als an Leiblichkeit gebunden wahrgenommen, als Teil eines komplexen, raumbezogenen kommunikativen Auftritts, der ständisch geregelt und normiert ist. Dies gilt für das 17. und auf weite Strecken auch noch für das 18. Jahrhundert - erst das bürgerliche Sprachprojekt löst in der Wahrnehmung die Sprache zunehmend vom Leib.
Vom 17. ins 18. Jahrhundert hinein lassen sich allerdings Veränderungen im Beschreibungsvokabular für den körperlich-sprachlichen Auftritt beobachten, und in Text- wie Bildzeugnissen zeigt sich ein Wandel in diesem Auftritt bzw. im Blick der Zeitgenossen darauf. Der abgebildete Titelkupfer aus Julius Bernhard von Rohrs 1728 erschienener Cemermoniel=Wissenschafft der Privat=Personen, der die "jetzigen Teutschen" den "alten Teutschen" gegenüberstellt, kann als ein mögliches Dokument dieses Wandels gelesen werden. Im Vortrag wird versucht, diese Veränderungen unter dem Stichwort "Dynamisierung" genauer zu fassen, in ihrer Sozialsemiotik zu deuten und damit auch einen Beitrag zu einer Kulturgeschichte der Kommunikation zu leisten.