Tobias Dyrks (St. Augustin) / Prof. Dr. Stephan Habscheid (Siegen)

Artikulationsarbeit und mediengestützte Ortserkundung. Multimodale und multilokale Kommunikation in Notfalleinsätzen

Abstract

Im Kontext von Notfalleinsätzen (z.B. der Feuerwehr) müssen vielfältige raumbezogene Kommunikationsaufgaben bearbeitet werden: Zum einen gilt es, sich im Rahmen einer arbeitsteiligen Erkundung des Einsatzortes über die Lokalisierung navigationsrelevanter Objekte und Mitspieler zu verständigen (Wo sind Treppen, Türen, Eingänge, Ausgänge, wo sind Verletzte, wo ist das Feuer? Etc.), zum anderen dient die Kommunikation der organisatorischen Steuerung des arbeitsteiligen Einsatzes im Raum (Wer soll wohin gehen, und was soll er dort tun? Wer war wo, und was hat er dort erledigt? Etc.). Bei der Bewältigung dieser Aufgaben greifen die Beteiligten auf ein mehr oder weniger komplexes Ensemble technischer Medien zurück, über etablierte Ressourcen - wie Funkgeräte und Mobiltelefone, Karten und Lagepläne, Kreide und Tafeln - hinaus werden heute in Übungs- und Schulungskontexten neuartige technische Steuerungs-, Lokalisierungs- und Referenzierungshilfen auf der Basis digitaler Geräte und Netze erprobt. Die Kommunikation in diesem Rahmen ist gekennzeichnet durch Multilokalität und Intermedialität: Einsatzleiter und Einsatztrupps sind während der Interaktion über weite Strecken nicht kopräsent, Interaktionswahrnehmung und Bedeutungskonstitution basieren auf verschiedenen, miteinander verschränkten Zeichensystemen (z.B. gesprochene Sprache, technisch erzeugte visuelle Repräsentationen). In derart komplexen kommunikativen Konstellationen treten unvermeidlich Störungen auf, die durch die Beteiligten artikuliert und bearbeitet werden müssen; dabei handelt es sich um eine übergeordnete kommunikative Tätigkeit in arbeitsteiligen Systemen und damit um einen Fall von Artikulationsarbeit (vgl. Strauss 1988). Die zugrunde liegenden Störungen können harmlos und alltäglich sein oder solche, die mit dem Risiko einer Eskalation der Krisensituation einhergehen. Derartige Situationen lassen sich als Spezialfälle "transkriptiver Störungen" im Sinne Ludwig Jägers (2004) verstehen, bei denen durch Time-out-Phasen Aushandlungsbühnen für eine "Re-Lektüre" der Kommunikationssituation im Medium der Sprache geschaffen werden. Für eine Erforschung von Sprache im intermedialen Zusammenhang sind derartige Verfahren nicht allein deswegen aufschlussreich, weil sie selbst auf der simultanen bzw. retrospektiven Verknüpfung von Sprache mit anderen Medien beruhen; darüber hinaus werden in derartigen Äußerungen problematisch gewordene Medien, ihre Potentiale und Verknüpfungen durch die Beteiligten selbst reflexiv dargestellt. Auf diese Weise wird Intermedialität als eine üblicherweise transparente Kommunikationsgrundlage thematisch, aus einem "Looking through" wird ein semantisiertes "Looking at", Medien werden (qua Störung) interaktiv relevant und sprachlich explizit (vgl. ebd.).

Anhand audiovisueller Daten, die im Kontext von Notfallübungen in einer Feuerwehrschule erhoben wurden, werden derartige Praktiken - speziell der intermedialen Raumpräsentation - auf kommunikationslinguistischer Basis untersucht. Unter dem Aspekt der Anwendung wird dabei auch die Frage erörtert, welche Relevanz derartigen Erkenntnissen für die Gestaltung medientechnischer Ressourcen für kritische Situationen zukommt.

Zitierte Literatur:
Jäger, Ludwig (2004): Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen. In: Krämer, Sybille (Hrsg.): Performativität und Medialität. München: Wil-helm Fink, 35-73.
Strauss, Anselm L. (1988): The articulation of project work: An organizational process. The Sociological Quarterly, 29, 2 (1988), 163-178.