Stimmlich-artikulatorischer Ausdruck und Sprache
Abstract
Die Sprechwissenschaft hat sich seit ihrem Entstehen intensiv mit der Stimme befasst, sowohl praktisch, im Rahmen pädagogischer und therapeutischer Intervention (physiologisch, ästhetisch und rhetorisch orientierte Sprech- und Stimmbildung, Diagnose und Behandlung von Stimmstörungen), als auch theoretisch, mit Forschungen zur Stimmbeschreibung, -beurteilung und -wirkung. Stimme wird vor allem aufgefasst als physiologisches Phänomen (Anatomie, Physiologie und Pathologie von Stimmorganen und Stimmgebung) und als Ausdrucksphänomen (stimmlich-artikulatorische Ausdrucksmuster).
Dabei folgt die Sprechwissenschaft einerseits einem phonetisch ausgerichteten, 'engen' Stimmbegriff: Stimme wird z. B. anhand von Stimmhöhe, Stimmansatz, Klangfarbe, Klangfülle, Klanghärte, faukaler Distanz, Geräuschhaftigkeit sowohl auditiv als auch akustisch beschrieben. Andererseits werden diese Stimmmerkmale zusammen mit anderen Ausdrucksmerkmalen (z. B. Artikulation, Sprechgeschwindigkeit, Lautheit, Rhythmus, Sprechspannung) zum stimmlich-artikulatorischen Ausdruck zusammengefasst. Für eine funktionale und interaktionsrelevante Analyse ist vor allem die Unterscheidung von physiognomischen und pathognomischen Ausdrucksmerkmalen der Stimme wesentlich. Denn Stimme ist zunächst durch ihre Leibgebundenheit unverwechselbarer Ausdruck der Persönlichkeit. Darüber hinaus ist stimmlich-artikulatorischer Ausdruck Träger wesentlicher Informationen für die Interaktion, immer in Verschränkung mit der sprachlichen Ebene und historisch-kulturellen Zuschreibungen und Mustern.
Im Vortrag werden sowohl Traditionslinien sprechwissenschaftlicher Begriffs- und Methodeninventare im Umgang mit stimmlich-artikulatorischem Ausdruck als auch aktuelle phonetisch-rhetorische Forschungsergebnisse vorgestellt, anhand derer deutlich wird, inwieweit stimmlich-artikulatorische Ausdrucksformen als Bedeutungsträger fungieren und zur Vereindeutigung der Verständigung beitragen können.