Linguistische Landschaften. Die Konstitution von Räumen durch sprachliche Zeichen
Abstract
Es gehört zu den Gemeinplätzen der Linguistik, dass gesprochene Sprache situationsgebunden, geschriebene Sprache aber zumindestens tendenziell situationsgelöst sei und sich über Orte und Zeitpunkte hinweg transportieren lässt, ohne ihre Bedeutung wesentlich zu verändern. Eine große Menge von schriftlichen Zeichen ist allerdings genau durch das umgekehrte Phänomen gekennzeichnet: sie sind ortsstabil und in ihrer Bedeutung von ihrem lokalen Kontext abhängig. Die Schrift auf Schildern, Plakaten und anderen öffentlichen Zeichen ist eine spezifische Form von Sprache, die den gängigen Stereotype von Schriftlichkeit widerspricht, weil sie "ding"- bzw. "ortsfest" ist und funktional wie auch formal anderen Regelmäßigkeiten folgt als die meist betrachtete Schrift der Texte auf transportablen Trägern wie Buch, Zeitung, elektronischem Textdokument oder e-mail. Solche Funktionen von Schrift (wie Wegweisen, Orientierung geben, Erinnern und Appellieren, Zugehörigkeit signalisieren) sind seit deren Erfindung relevant gewesen; erst in jüngster Zeit werden aber orts- und dingfesten Zeichen unter dem Begriff der linguistic landscapes ins Blickfeld der Linguistik gerückt und systematisch untersucht. Das Forschungsinteresse liegt vor allem in der Beantwortung der Frage, wie öffentliche Zeichen Sprach-Räume konstituieren, und zwar insbesondere monolinguale oder bilinguale Räume in mehrsprachigen Gesellschaften. In meinem Vortrag werde ich aber nur nebenbei auf solche Sprach-Räume eingehen; mein primäres Interesse gilt der Art und Weise, wie öffentliche, orts- und dingfeste Zeichen überhaupt Raum konstituieren, d.h. wie wir moderne, semiotisch dicht organisierte Räume lesen, um uns in ihnen zu orientieren.