Rechtsnormen als Sprachnormen
Abstract
Am Anfang der Sprechakttheorie steht eine inhaltliche Verknüpfung von Sprachbedeutungen und Rechtshandlungen (Austin: How to do things with words). Versprechen sind verpflichtend, und man erfährt, was das heißt, wenn jemand etwas verspricht. Versprechen kommen außerhalb von Sprache und Sprachverwendung nicht vor. Diesen Inhalte konstituierenden Aspekt will ich für das Verfahren im Recht vertiefen. Das Rechtsverfahren - genauer: die Sprachanforderungen in Justiz und Verwaltung - produziert Sachen, und diese Art von Normativität vermittelt, was "Sachlichkeit" bedeutet. Die Rechtsnormen, mit denen ich mich befasse, sind Programmvorschriften im Rechtsverfahren, nicht selbst schon Sachnormen. Sie bestimmen nicht, welche Inhalte man vortragen soll, und legen auch nicht fest, welche Wirkung das Vorgetragene haben wird. Sie veranlassen, in einer bestimmten Art und Weise vorzutragen, die durch Wiederholung eingeübt werden muss. Normativität ist ohne Übung nicht zu haben.
Verfahren heißen im Justizsprachgebrauch nicht zufällig "Sachen". "In der Sache" Meyer einen sog. "Schriftsatz" einzureichen heißt, diese Sache nach Anlass, Ziel und Umfang zu bestimmen. Die Anforderungen für sachbestimmende Schriftsätze (Klageschriften, § 253 ZPO) richten sich auf pragmatische Grundlagenkompetenz: Man muss personalisiert, detailliert und sequentiell vortragen, auf deutsch: erzählen, und zwar zielgerichtet. Justizjuristen nennen das "substantiiert". Das Rechtsverfahren setzt allerdings im Unterschied zum literarischen Erzähler jeden Autor einer Gegengeschichte aus. Das "rechtliche Gehör" (Art. 103 Grundgesetz) zwingt zur Antizipation fremder Erzählung und in der Folge - wenn der andere seine Version vorgetragen hat - zur Bezugnahme auf diesen Vortrag (§ 277 ZPO). Eine weitere Basiskompetenz schließt daran an: Die umstrittenen Punkte können tatsächliche Abläufe betreffen, dann muss man sie beweisen; oder sie können sich auf unterschiedliche Sichtweisen, Meinungen, Ideologien o.ä. beziehen. Dann gibt es nach juristischem (durchaus zweifelhaftem) Verständnis nur eine richtige Lösung, und die weiß das Gericht, das darauf hinweist (§ 139 ZPO). Substantiierung oder Erzählen, Hören und Zuhören richten sich ebenso wie Behaupten und Meinen auf Sprachnormkompetenzen aus dem Rechtsbereich. Wer sie beherrscht, hat Zugang zur Sachlichkeit der Sprache. Das sollte ein modernes Anliegen sein und ist in der Darstellung auszuführen.