Rektionsschwankungen bei Präpositionen – erlaubt, verboten, unbeachtet
Abstract
Der Vortrag befasst sich mit semantisch irrelevanten Rektionsschwankungen bei entlehnten, sekundären und primären Präpositionen.
- Es wird eine Bestandsaufnahme der deutschen Präpositionen vorgenommen. Dabei wird ersichtlich, dass weit mehr Bildungen eine präpositionale Funktion ausüben können als in der einschlägigen Literatur angenommen (beispielsweise Adverbien wie bergauf/bergab, vorne/hinten, rückwärts; Adjektive wie diesseitig/jenseitig, spiegelbildlich, konform; Partizipien wie folgend, entgegengesetzt; Substantive wie anblicks oder höhe).
- Es wird ein Überblick über die Normvorgaben aus den wichtigsten Grammatiken, Wörterbüchern und Nachschlagewerken zu Präpositionen geliefert. Semantisch irrelevante Rektionsschwankungen sind bei entlehnten Präpositionen weitgehend erlaubt, bei sekundären Präpositionen für einige Bildungen erlaubt und für andere explizit verboten, bei primären Präpositionen finden sich keinerlei Angaben.
- Es werden die Normvorgaben, soweit vorhanden, dem realen Sprachgebrauch gegenübergestellt. Als Korpus dienen schriftsprachliche Belege aus COSMAS II und aus dem Internet. Besonderes Augenmerk wird auf Normverletzungen gerichtet: sekundäre Genitiv-Präpositionen mit regelwidriger Dativrektion (wegen, statt, während u.v.m.), sekundäre Dativ-Präpositionen mit regelwidriger Genitivrektion (gegenüber, entsprechend, samt u.v.m.), sekundäre Akkusativ-Präpositionen mit regelwidriger Genitivrektion (betreffend, inbegriffen, wider u.a.), primäre Präpositionen mit regelwidriger Genitivrektion (z.B. seit, neben, gegen). Es zeigt sich insgesamt, dass zahlreiche etablierte Präpositionen mit regelwidrigen Kasus auftreten. Auch nicht-etablierte Präpositionen kommen häufig mit einem Kasus vor, der nicht den etymologischen Strukturverhältnissen entspricht (z.B. die Dativ-Bildungen nahebei, anbei, nebenan, naheliegend, vergleichbar mit Genitiv; die Akkusativ-Bildungen lang, hinab, einschließend mit Genitiv). Rektionsschwankungen erscheinen somit als Regel- und nicht als Ausnahmefall.
- Es wird der Frage nach der quantitativen Relevanz regelwidriger Rektionsvarianten in standardnaher Schriftsprache nachgegangen. Exemplarisch untersucht werden ca. 20 Präpositionen, für die je 1.000 COSMAS II-Belege berücksichtigt werden.
- Rektionsschwankungen werden v.a. im Zusammenhang von Grammatikalisierungsprozessen erklärt.
- Ein Ausblick auf mögliche Entwicklungstendenzen des gesamten präpositionalen Systems rundet das Bild ab, wobei der Frage besondere Beachtung zukommt, ob im "Rektionschaos" bei etablierten wie nicht-etablierten Präpositionen sich ein bestimmter Kasus durchzusetzen vermag. Vieles spricht - vielleicht überraschenderweise - für den Genitiv. Der präpositionale Bereich könnte demnach unter dem Motto stehen: "Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod".