Ingrid Lemberg

Lexikographie und Kulturgeschichte: 1.400 Jahre Rechtskultur im Spiegel des Deutschen Rechtswörterbuchs

Abstract

Unser Wortschatz repräsentiert, was Menschen alleine und im sozialen Miteinander an Handlungen, Institutionen sowie an Ideen und Erkenntnissen hervorbringen. In historischer Perspektive wird der Wortschatz, wie er in sprachlichen Quellen überliefert ist, zum kulturellen Gedächtnis einer bestimmten Sprechergruppe, einer Gesellschaft, einer Nation. Voraussetzung für alle fachhistorischen Auswertungen und Aussagen ist das lexikalische Verständnis eines Quellentextes. Hilfestellung dazu bietet die historische Lexikographie und ist so mit der Dokumentation und der semantischen Beschreibung des Wortschatzes die elementare wissenschaftliche Grundlagendisziplin für alle anderen historischen Disziplinen.

Gegenstand des Deutschen Rechtswörterbuchs (DRW) ist der Wortschatz des westgermanisch-deutschen Rechts von den Anfängen seiner schriftlichen Überlieferung im 5. Jh. bis zum Beginn des 19. Jhs. Das Recht nimmt nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich einen breiten Raum ein. Grundsätzlich kann alles, jede Idee, jede Handlung, jedes Sachgut usw. zum Gegenstand rechtlicher Vorstellungen und Regelungen werden. Beschreibungsintention des DRW ist es, nicht nur den juristischen Fachwortschatz, sondern jede sprachliche Manifestation des jeweils rechtlichen Zugriffs auf die Wirklichkeit zu erfassen. Damit wird das Wörterbuch zu einem Spiegel der rechtskulturellen Tradition des westgermanisch-deutschen Sprachraums.

Wie sieht diese "Spiegelung" aus, wenn man die Metapher in Hinblick auf lexikographische Methoden und Darstellungsmöglichkeiten hinterfragt? Die lexikographischen Strukturen des Wörterbuchs bieten unterschiedliche Informationsmöglichkeiten auch im Sinn kulturhistorischer Fragestellungen. Schon die alphabetische Lemmaliste kann an vielen Stellen eine erste Vorstellung eines bestimmten Ausschnittes der Rechtsvergangenheit vermitteln. So zeigen z.B. das Wort Reich und seine mehr als 500 Kompositen die Struktur des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation mit ihrer Fülle von Ämtern, Institutionen und Zuständigkeitsfragen. Die Bedeutungserläuterungen und Gliederungsstrukturen der Artikel tragen der lexikographischen Intention Rechnung, gerade bei Wörtern des Alltags die spezifisch rechtlichen Bezüge herauszuarbeiten. Daher unterscheiden sich Artikel wie zum Beispiel Roß oder rot in ihrer Beschreibung gravierend von den Artikeln in anderen historischen Bedeutungswörterbüchern. Belege vermitteln die zeitliche, räumliche und textsortenbezogene Differenziertheit sowie ein ausführliches rechts- und kulturhistorisches Detailwissen. Die verschiedenen Recherchezugriffe in der Online-Version des Wörterbuchs auf den lexikographischen Erläuterungswortschatz und auf den historischen Belegwortschatz weiten das Spektrum möglicher, gerade texttranszendierender Fragen an das Wörterbuch aus und machen es zu einem Instrument rechtshistorischer Kulturforschung. Dies wird anhand möglichst vielfältiger Beispiele gezeigt und in Hinblick auf seine Leistungsfähigkeiten und auf seine Leistungsgrenzen diskutiert.

URL Deutsches Rechtswörterbuch online:
http://www.deutsches-rechtswoerterbuch.de/