PD Dr. Heidrun Kämper

Sprachgeschichte als Umbruchgeschichte: Sprache im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung

Abstract

Als Umbruchgeschichte verstandene Sprachgeschichtsschreibung ist weder theoretisch noch empirisch ein entwickelter Untersuchungsbereich, zumal fehlen Kategorien, die Sprachumbruch und Sprachwandel voneinander abgrenzen und zueinander in Beziehung setzen. Der Vortrag wirbt für "Umbruch" als eine Perspektive der Sprach(gebrauchs)geschichte des 20. Jahrhunderts.

Sprachliche Umbruchgeschichte, deren Erkenntnisziel auf die initialen Momente sprachlicher Veränderung gerichtet ist, steht in der Tradition der kulturwissenschaftlichen Linguistik. Sie stellt die Frage nach den sprachlichen Auswirkungen plötzlicher und umfassender gesellschaftlicher Veränderungen, vice versa: Sie bindet diese Veränderungen an sprachliche Verschiebungen. Damit ist sie eingelassen in handlungs- und kommunikationstheoretische Paradigmen der pragmatischen Sprachgeschichte. Im Zentrum des Forschungskonzept einer sprachlichen Umbruchgeschichte steht methodisch der diskursanalytische Ansatz, der nicht nur erklären kann, wie die gesellschaftliche Verfasstheit und sprachliche Verschiebungen zusammenhängen, sondern auch, wann sich solche Verschiebungen diskursiv manifestieren - diese Frage ist essentiell im umbruchgeschichtlichen Kontext.

Die Arbeitshypothese lautet: Das gesellschaftliche Grundprinzip des 20. Jahrhunderts heißt Demokratie/Demokratisierung. In diesem Sinn ist die Sprachgeschichte des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet von phasenweise je spezifischen diskursiven Ausprägungen des dominanten gesellschaftlichen und politischen Problemfeldes der Demokratie bzw. der Demokratisierung der Gesellschaft. Die sprachlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts (1918/20, 1933, 1945, 1967/68, 1989) sind sozusagen diskursive Richtungswechsel dieses Jahrhundertprinzips.