Sprache und Kollektiv
Abstract
Sprache ist kein Naturprodukt, sondern kultureller Herkunft. Sprache ist nichts Ausgefallenes oder Einzigartiges, sondern ein kulturelles Phänomen unter anderen. Zwar stellt sie ein hoch komplexes und spezielles Kommunikationsmittel dar, lässt aber alle Kriterien erkennen, die im Bereich Kultur gelten (Beispiel: Herrenmode). Ansatz und Terminologie der Sprachwissenschaft hat diese Verbindung zur Kultur verdeckt.
Sprache war Bedingung oder Folge des Übertritts aus dem Natur- in den Kulturzustand. Da dieser Übertritt nicht als Gattung erfolgte, sondern an einzelnen Orten von einzelnen ethnischen Kollektiven vollzogen wurde, gab es von Anfang an nicht nur eine Sprache, sondern viele. Schon an dieser Herkunft wird sichtbar, dass Sprache, wie jedes andere Zeichensystem auch, Kollektivbezogen ist und spontan aus den Kommunikationsbedürfnissen der jeweiligen Kollektive entsteht. Den Kollektivbezug, wie er an Dialekten und Sondersprachen am deutlichsten sichtbar wird, hat Sprache mit allen kulturellen Phänomenen gemeinsam, und deshalb lässt sie sich mit den Begriffen der Kulturwissenschaft vielleicht besser fassen als mit den linguistischen.
Der Kollektivbezug gilt auch für die Nationalsprache. Das Kollektiv Nation besitzt seine Besonderheit im Merkmal der Polykollektivität, und die National- bzw. Hochsprache muss diesem Merkmal Rechnung tragen. Während Sozio- und Dialekte trennen, übt die Hochsprache eine pankollektive, also verbindende Funktion aus. Als Nebenprodukt lässt sich aus dieser Sicht eine Widerlegung der Sapir-Whorf These gewinnen.