Sprache und Gehirn
Abstract
Sprachverstehen ist ein hochkomplexer Prozess bei dem eine Reihe von Subprozessen aufgerufen und zeitlich koordiniert werden müssen. Linguistische Theorien und psycholinguistische Modelle postulieren unterschiedliche Prozessdomänen für die Verarbeitung von gesprochener Sprache: Semantik, Syntax und Phonologie und innerhalb dieser, die Prosodie. Neurophysiologische Studien, die auf den zeitlichen Verlauf dieser Prozesse im Gehirn fokussieren, zeigen, dass syntaktische Information früh und unabhängig von semantischer Information verarbeitet wird, dass jedoch syntaktische Information mit prosodischer Information beim Satzverstehen schon früh interagiert. Bildgebende Verfahren belegen, dass diese verschiedenen Prozessdomänen von unterschiedlichen neuronalen Netzwerken im Gehirn unterstützt werden. Temporale und frontale Regionen der linken Hirnhälfte arbeiten in unterschiedlichen Netzwerken bei der Verarbeitung von syntaktischer Information und von semantischer Information zusammen. Für die syntaktische Verarbeitung können zwei Subnetzwerke innerhalb der linken Hemisphäre differenziert werden. Ein Netzwerk, bestehend aus dem frontalen Operculum und dem anterioren Anteil des oberen Temporallgyrus, zeichnet verantwortlich für die Verarbeitung der lokalen Phrasenstruktur. Ein zweites Netzwerk, bestehend aus dem Broca-Areal und dem hinteren Anteil des oberen Temporalgyrus, ist verantwortlich für die Verarbeitung hierarchischer Strukturen. Die rechte Hirnhälfte ist vornehmlich für die Verarbeitung prosodischer Information auf Satzebene zuständig. Die schnelle Kommunikation zwischen beiden Hirnhälften ist Voraussetzung für eine enge Koppelung von syntaktischer und prosodischer Verarbeitung auf dem Weg zum Sprachverstehen. Diese wird durch jene Hirnstruktur gesichert, die die beiden Hemisphären miteinander verbindet. Als Beleg hierfür gilt der Befund, dass Patienten mit Schädigung dieser Hirnstruktur keine normale Interaktion zwischen grammatischer und prosodischer Information zeigen.