Topologie komplexer Sätze und Textverstehen
Abstract
Für die Anordnung der Teilsätze in einem komplexen Satz gibt es oft Alternativen, die auf einer abstrakten semantischen Ebene äquivalent erscheinen. So können in einem Satzgefüge ein Supplementsatz oder ein Attributsatz prinzipiell im Vorfeld, Mittelfeld oder Nachfeld stehen. Ein Nebensatz kann auch links- oder rechtsversetzt erscheinen oder gar syntaktisch-linear desintegriert sein. In Texten ist die Häufigkeit der einzelnen Stellungen allerdings unterschiedlich, und sie werden von Sprachkritikern auch unterschiedlich bewertet (man denke etwa an die große Tradition der Kritik an der Mittelfeldstellung der Nebensätze als der Stellung, die das Verstehen erschwert). Es stellt sich die Frage, was die Wahl einer Stellungsalternative in einem konkreten Text determiniert. Ist es ein bestimmtes Textverständnis, das der Autor evozieren will? Oder sind es eher Anforderungen der Sprachverarbeitung und der Verständlichkeit? Für die lineare Strukturierung von Sätzen ist in der Forschung einerseits eine Reihe genereller informationsstruktureller Prinzipien wie die Abfolgen Unwichtiges vor Wichtigem, Hintergrundeinheiten vor Vordergrundeinheiten, bekannte Information vor neuer Information vorgeschlagen worden. Andererseits ist das Prinzip der Verarbeitungseffizienz postuliert worden, das die Bedeutung informationsstruktureller Prinzipien relativiert. Um in die komplexe Problematik mehr Licht zu bringen, wird nun hier das Stellungsverhalten von Supplementsätzen und Attributsätzen untersucht, die Stellungsalternativen aufweisen. Zunächst werden allgemeine Stellungsmöglichkeiten relevanter Nebensatztypen (wie eingeleiteter oder nicht eingeleiteter Nebensatz, durch einen Subordinator oder durch einen Verbzweitsatz-Einbetter eingeleiteter Nebensatz) skizziert. Die einzelnen Anordnungen werden dann daraufhin geprüft, mit welchen textsemantischen Zusammenhängen sie vereinbar sind, z. B. welche der möglichen Fokus-Hintergrund-Gliederungen sie tragen können. Im Weiteren wird der Skopus bestimmter in komplexen Sätzen gebrauchter Ausdrücke im Hinblick auf unterschiedliche Nebensatzstellungen thematisiert. Schließlich wird die Verarbeitungseffizienz bei verschiedenen Anordnungen der Teilsätze, sprich die Online-Verständlichkeit der komplexen Sätze, behandelt. Dies alles soll zwar ein Beitrag dazu werden, die Bedingungen des Textentstehens zu modellieren, es wird aber nicht die Mühen eines Autors erleichtern, der sich im Zwiespalt zwischen dem intendierten Textverständnis und der Verständlichkeit sieht.