Prof. Dr. Eva-Maria Jakobs

Schreiben, um verstanden zu werden?

Abstract

Textverständlichkeit wird in der Regel aus der Sicht von Produkteigenschaften und Adressatenvoraussetzungen diskutiert. Diese Sichtweise setzt voraus, dass der Textproduzent Textverständlichkeit als handlungsleitendes Konstrukt begreift. Wie zu zeigen sein wird, trifft dies häufig nicht zu, insbesondere im Falle beruflich veranlasster Schreibprozesse.

Untersuchungen zum Schreiben am Arbeitsplatz zeigen, dass das Verfassen von Texten zum Berufsalltag vieler, wenn nicht der meisten Berufe und Arbeitskontexte gehört. In einigen Berufen ist das Verfassen von Texten eine zentrale Arbeitsaufgabe, so z.B. im Falle von Journalisten, Textern, Technischen Redakteuren und Juristen. In anderen Arbeitskontexten wird das Verfassen von Texten als der "eigentlichen" Arbeit nachgeordnete Tätigkeit gesehen, so z.B. im Falle von Ärzten, Ingenieuren und Monteuren. Unabhängig vom Stellenwert beruflich veranlasster Schreibaufgaben wird in der Praxis insgesamt erstaunlich viel geschrieben. Schriftsprachliche Ausdrucksfähigkeiten entscheiden häufig über Berufs- und Karrierechancen, auch wenn dies häufig von den Betroffenen so nicht wahrgenommen wird.

Folgt man der These, dass Texte als kommunikative Artefakte an Typen von Situationen gebunden sind und die Frage nach ihrer Qualität sich daran bemisst, wie sich das Artefakt in der Situation verhält, in der es zum Einsatz kommt, dann zeigt sich relativ schnell, dass es häufig nicht nur um die Frage seiner Verständlichkeit geht. Texte dienen häufig (auch) der Absicherung der Person des Schreibers, sie sind Mittel der Klärung von Sachfragen und Instrumente der Beziehungsgestaltung.

Die Beschaffenheit des Textproduktes wird wesentlich durch die inneren und äußeren Rahmenbedingungen des Arbeitskontextes und damit der Textproduktionssituation geprägt. An Beispielen aus der Berufswelt von Anwälten, Notfallsanitätern, Ingenieuren, Banksachbearbeitern, Physiotherapeuten und Kriminalbeamten ist zu zeigen, wie sich Tendezen in der Arbeitswelt wie die Industrialisierung des Schreibens, Arbeitsaufgabe und -organisation, interpersonale Beziehungen und subjektive Theorien über Textfunktionen, Adressatenmerkmale und Rezeptionssituation auf die "allmähliche" Verfertigung von Texten und deren Beschaffenheit auswirken. Bei genauerer Betrachtung zeichnen sich berufs- und domänenspezifische Phänomene ab, die zu spezifischen Rezeptionsproblemen mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft führen.

Die Diskussion stützt sich auf kognitiv wie textlinguistisch fundierte Modelle des Textproduzierens.