Prof. Dr. Ulla Fix

Was heißt Texte kulturell verstehen? Ein- und Zuordnungsprozesse beim Verstehen von Texten als kulturellen Entitäten

Abstract

"Sprachverarbeitung ist aber nicht nur Kognition, sondern auch Kommunikation." (Rickheit 1995, 16) Dies akzeptiert, hat man Sprachverarbeitung, also Verstehen neben Behalten und Erinnern, als einen Prozess anzusehen, in dem außer Faktoren wie Wissen, Einstellungen und Emotionen auch die pragmatischen Rahmenbedingungen, vor allem situative und kulturelle, eine Rolle spielen. In diesem Sinne wird sich der Vortrag auf den Bereich der Textsorten konzentrieren, da sich das kulturelle Wissen über Texte im Textsortenwissen manifestiert. Bezogen auf einen alltagssprachlichen Kulturbegriff, für den die Muster/Routinen/Verfahren, die eine Kulturgemeinschaft zur Regelung ihrer Probleme hervorbringt, besondere Bedeutung haben, sind Textsorten als kulturelle Artefakte und kulturelle Instrumente zugleich anzusehen, d. h. als Hervorbringungen einer Kultur und als Mittel zu deren Aufrechterhaltung. Verstehen von Texten bedeutet unter dem kulturellen Aspekt dann nicht - wie von Verstehensprozessen oft angenommen - das rückläufige Wiederholen der Vorgänge, die bei der Textproduktion ausgeführt wurden, sondern es heißt vor allem das Vollziehen folgender rezeptionstypischer Prozesse: Einordnen des Gelesenen/Gehörten im Sinne des Erkennens kultureller Hintergründe und Handlungsräume, ohne deren Kenntnis das Textexemplar möglicherweise unverständlich bliebe, und Zuordnen zu Textsorten bzw. Gattungen, ohne deren Wahrnehmung die Funktion des jeweiligen Textes unklar bliebe.

An diesen Typen von Verstehensaktivitäten will ich ansetzen und Forschungsfragen (von denen einige unten beispielhaft angeführt werden) möglichst vollständig darzustellen versuchen, die sich aus dem kulturellen Charakter von Sprache und den damit verbundenen Verstehensproblemen für die sprachwissenschaftliche Untersuchung ergeben. Dies soll anhand von Beispieltexten vor dem Hintergrund der "Inter-Relationen" Interkulturalität, Intertextualität, Intermedialität und Interdisziplinarität geschehen.

Interkulturalität - z. B.:

  • Übereinstimmungen, Abweichungen von Textsorten und Textsortenstilen innerhalb verschiedener Kulturen
  • Über das Lokale hinausgehende kulturübergreifende Muster von Texten

Intertextualität/Vernetztheit von Texten - z. B.:

  • Intertextuelle Kompetenz beim Zuordnen und Verstehen von Texten, auch über die Einzelkultur hinaus
  • Kulturell bedingte Vernetzungszusammenhänge von Texten

Intermedialität - z. B.:

  • Medienwechsel - Übersetzen unter dem Aspekt der Kulturspezifik
  • Texte in neuen Medien als kulturelle Phänomene

Interdisziplinarität - z.B.:

  • Erfassen der Kulturalität von Textsorten/Gattungen in Zusammenarbeit z. B. der Disziplinen Geschichts-, Sprach-, Medien-, Literaturwissenschaft
  • Übergänge zwischen literarischen und Sachtexten als Mittel des Abweichens

Literatur:
Rickheit, Gert (1995): Verstehen und Verständlichkeit von Sprache. In: Spillner, Bernd (Hrsg.): Verstehen und Verständlichkeit. Frankfurt am Main. Berlin. Bern, S. 15-30.