Dr. Peter Canisius

Pronomina, Personen, Perspektiven

Abstract

Die Bedeutung von Tempora wird üblicherweise nicht als Relation zwischen dem Zeitpunkt der Äußerung und dem des besprochenen Sachverhalts bestimmt, sondern als eine bestimmte Konstellation von Äußerungszeitpunkt, Sachverhaltszeitpunkt und einem als Referenz-, Orientierungs- oder auch Betrachtzeitpunkt bezeichneten dritten Zeitpunkt. In meinem Beitrag geht es darum, auch bei der Beschreibung von Pronomina eine neben der Instanz der Äußerungsträger Sprecher/Adressat und der des ("besprochenen") Sachverhaltsträgers dritte Instanz zu berücksichtigen, nämlich die des Betrachters, und dann - analog zu den Tempora - die Bedeutung der Pronomina als eine bestimmte Konstellation von Äußerungsträger, Betrachter und Sachverhaltsträger zu bestimmen.

Im Mittelpunkt meines Beitrags steht jenes, typischerweise drittpersonige, Personalpronomen, das in der Erlebten Rede das perspektivische Subjekt, den sog. Reflektor, bezeichnet: Wer würde ihm helfen, wenn er morgen in Berlin ankam? Dass die Erlebte Rede in Sprachen wie etwa dem Deutschen bekanntlich durch eine "Verschiebung" sowohl des Tempus als auch der grammatischen Person gekennzeichnet ist, legt eine parallele Beschreibung von Tempus und Person nahe; dass sie in anderen Sprachen (wie etwa dem Ungarischen oder Polnischen) durch eine Verschiebung nur der grammatischen Person gekennzeichnet ist, legt es nahe, dem Aspekt der Person einen gewissen Primat zuzusprechen.

Das drittpersonige Reflektor-Pronomen der Erlebten Rede weist eine Reihe von (text)grammatischen Gemeinsamkeiten einerseits mit ich (und den anderen Personaldeiktika) und andererseits mit generischem man auf, Gemeinsamkeiten, die dieses ("logophorische") Pronomen - speziell im Falle des Deutschen - von den "normalen" anaphorischen Pronomina unterscheiden. Diese Gemeinsamkeiten, und das heißt zugleich: die gemeinsamen Unterschiede zu den anderen drittpersonigen Ausdrücken, sollen als Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der jeweiligen Konstellation von Äußerungsträger, Betrachter und Sachverhaltsträger, mit anderen Worten: als Gemeinsamkeiten und Unterschiede in grammatischer Person und Perspektive beschrieben werden.

Jene das Reflektorpronomen auszeichnende und von den "normalen" anaphorischen Pronomina unterscheidende Konstellation erlaubt dem Reflektorpronomen ein textgrammatisches "Benehmen", das sich von dem der "normalen" anaphorischen Pronomina unterscheidet und so, zusammen mit anderen sprachlichen Besonderheiten perspektivischen Erzählens, Textverständnis und -interpretation steuert.