Kongruenzprobleme bei Subjekt und Prädikat: Die Termqualität geht vor
Abstract
Die Regel der Numeruskongruenz von Subjekt und Prädikat ist eindeutig: Subjekt und Finitum stim-men in der grammatischen Zahl überein. Probleme gibt es dann, wenn 1. das Subjekt formal im Singu-lar steht, inhaltlich aber die Vorstellung einer Vielheit vorhanden ist, und 2. das Subjekt formal im Plural steht, inhaltlich aber die Vorstellung einer Einheit vorhanden ist. Dazu kommen noch einige syntaktisch beschreibbare Sonderprobleme. Warum gibt es in diesem Bereich besonders viele Zwei-felsfälle? Das wenigstens ist eindeutig: Sie entstehen dadurch, dass sich über den grammatischen Nu-merus eine semantische Kategorie schiebt, die freilich nicht leicht zu fassen ist. Die Duden-Grammatik nennt nur Abstrakta und formelhafte Subjekte, und hier darf auch das Verb sowohl im Singular als auch im Plural stehen. Dass diese Beschreibung nicht ausreicht, zeigen aber die folgenden authenti-schen Beispiele aus Schularbeitstexten:
(1) … weil Religion und Glaube durch die eigene Familie vermittelt wird.
(2) Im Mittelpunkt stand vielmehr die Natur, die Freiheit, das Genie und das Gefühl.
(3) Die Literatur und die Natur war zu der Zeit sehr wichtig.
(4) V.a. die Interpretation und das Zeigen konkreter Zusammenhänge zwischen dem Autor, der Epoche und dem Werk durch den Lehrer war sehr interessant.
(5) Glauben Sie, eine Couch, eine Art Küchentisch und ein Schreibtisch macht uns das Stück verständlich?
(6) Der Teil, wo das Buch "Faust" von Goethe und die Biographie von Goethe vorgestellt worden ist, war … verständlich.
Der Singular in (1-4) ist durch die Abstrakta-Regel der Duden-Grammatik (§ 1295/3, § 1294b: "Ste-hen die Subjektteile im Singular, so kommt (seltener) beim Finitum auch der Singular vor, vor allem bei Abstrakta in Subjektposition" beschrieben. Das kann aber nicht für (5-6) gelten. Auch die nicht zitierten Duden-Abschnitte 3-7 treffen für diese Fälle nicht zu. Ich vertrete die These, dass es für die Numeruskongruenz von Subjekt und Prädikat nicht entscheidend ist, wie viele abzählbare Elemente welcher Art auch immer vom Subjekt bezeichnet werden, sondern ob das Subjekt eine begriffliche Einheit meint oder nicht. Begriffliche Einheiten entstehen dadurch, dass eine den Elementen überge-ordnete Ganzheit sprachwirksam ist. Diese übergeordnete Ganzheit (sie sei "Term-Qualität" genannt) stellt sich besonders leicht bei abstrakten Begriffen ein, also dort, wo man sich ohnedies mit dem Zäh-len schwer tut. Zum verbalen Plural kommt man nicht durch mechanisches Zählen von Nominalphra-sen im Subjekt, sondern durch Analyse der abstrakten Mengenbeziehungen. Diese Mengenbeziehun-gen können durch eine Ersatzprobe bestimmt werden: Wenn das Subjekt durch ein referenzidentisches singularisches Pronomen ersetzt werden kann, steht auch das Prädikat im Singular und umgekehrt. (5): Glauben Sie, das macht uns das Stück verständlich? (6): Der Teil, in dem das vorgestellt worden ist, … Manchmal sind beide Ersatzformen möglich, weil der/die Sprecher/SchreiberIn sowohl den Term als auch die Individuen meinen kann. Mit dieser Variantion muss man daher rechnen.
Ein Term steht immer im Singular, so müsste die grammatische Regel lauten. Doch für die gemeinte Ganzheit steht nicht immer ein passender Ausdruck zur Verfügung. Für das Nicht-Einzelne, das Allgemeine wird im Deutschen oft der Plural gebraucht. Bezeichnet ein solcher Plural eine Term-Qualität, könnte man erwarten, dass das Verb im Singular steht. Mein kleines Korpus von Belegstellen enthält tatsächlich einen solchen Fall:
(7) … da sonst die Handlungen der Personen nicht klar wird.
Ersatzprobe: da sonst das nicht klar wird, mit Umstellung da das sonst nicht klar wird - das ist viel-leicht sogar besser als da sonst die nicht klar werden - da sonst die nicht klar werden. Es geht eben nicht um einzelne Handlungen, sondern um die Gesamtmenge als theaterpraktische Einheit, also um einen Term. Schulgrammatisch mag (7) falsch sein, systemgrammatisch ist (7) aber richtig.