Prof. Dr. Heinrich Löffler

Begriffsklärung: Standard und Gegenbegriffe

Abstract

Die Formulierung "Begriffsklärung" ist nicht ganz zutreffend. Es wäre zwar nützlich und angenehm, zu Beginn einer Tagung mit dem Titel "Standardvariation" ein klärendes Wort zur Begriffslage zu sprechen. Darzulegen, was man unter Standard und Nicht-Standard, unter Variation und unter Standardvariation versteht, sollte nicht allzu schwer sein.

Letzlich geht es um die alte hierarchische Gliederung des Deutschen in Hochsprache, Umgangssprache, Halbmundart, Mundart, die noch nie eigentlich in Frage gestellt worden ist, von den altmodischen Bezeichnungen selbst einmal abgesehen. Empirisch untersucht wurden lange Zeit ohnehin nur die Dialekte oder Mundarten. Die Hochsprache war mit den Normbüchern zur Orthographie, Orthophonie und Ortho-Grammatik wenn nicht wohl definiert, so doch in allen Teilen festgeschrieben. Umgangssprache und Halbmundart galten von den Polen her gesehen als von der Wissenschaft zu vernachlässigende Mischformen.

Die jüngere Terminologie zur Sprachgliederung: Standard, Substandard, Nonstandard, auf die sich die strukturalistische und die empirische Richtung der Linguistik verständigt haben, sieht zwar schlanker und präziser aus, wird aber sogleich wieder diffus, sobald man sie mit dem Begriff der Variation verbinden oder in Varietäten weiter untergliedern oder mit Hilfe des System- oder Normbegriffs präzisieren will.

Die Vorschläge zur Gliederung des Deutschen stammen in der Regel nicht aus systematischer empirischer Beobachtung am Objekt. Die Klassifikationsversuche oder Modelle berufen sich meistens auf eigene Spracherfahrung und -intuition und haben deshalb hypothetischen Charakter. Aus diesem Grund haben wir es trotz vordergründig einheitlicher Benennung mit einer Vielzahl von Definitionsangeboten zu tun.

Der Untertitel der Tagung in Form der Frage. "Wie viel Variation verträgt die deutsche Standardsprache" lässt vermuten, dass nach einer pragmatischen Antwort gesucht werden soll. So sollte es auch möglich sein, aus der Vielfalt der angebotenen Definitionen das zu betonen, was zur Beantwortung der Frage tauglich ist: welche Art von Variation noch innerhalb der Standard-Grenzen anzusiedeln ist und welche Variationen (oder Varietäten?) bereits ausserhalb des Standards liegen.

Es geht dabei nicht um einen weiteren Beitrag zur Theorie der Binnengliederung des Deutschen. Die Zuordnung von "Variation" zu Standard oder Nonstandard ist von beträchtlicher Tragweite, nicht nur für die Dudenredaktion.

Es wird also weniger um eine Begriffsklärung gehen als um eine Aufklärung über die Problematik einer terminologischen Einteilung des von Natur aus nicht eingeteilten Sprachkontinuums und deren praktische Folgen.