Regionale Standardisierung - nationale Destandardisierung
Abstract
De-Standardisierung lässt sich einerseits mit Bezug auf die regionale Variabilität des Deutschen verstehen als die Zunahme regionaler Varianten. Andererseits kann man darunter aber auch die Aufgabe kodifizierter nationaler Sprachformen zugunsten (nicht regionalisierter) Non-Standard-Formen verstehen. In unserem Vortrag werden wir die These vertreten, dass die gegenwärtige Entwicklung des Deutschen lediglich als De-Standardisierung im zweiten Sinn aufgefasst werden kann. Es ist in diesem Fall aber zu fragen, ob wir es anstelle von De-Standardisierung nicht vielmehr mit einfachem Sprachwandel zu tun haben.
In Bezug auf die regionalen Sprachformen ist die Gesamtsituation des Deutschen weiterhin durch den Abbau kleinräumiger dialektaler Merkmale gekennzeichnet. Dieser Abbau vollzieht sich in der Mehrzahl der Fälle in Richtung auf eine standardnähere Lautung; nur selten expandieren regionalsprachliche Merkmale, die deutlich von der Standardlautung abweichen. Seit einigen Jahrzehnten erhält bzw. verstärkt sich die räumlichen Gliederung der Standardsprache allerdings durch eine allseits akzeptierte Substratwirkung der großräumigen Regionaldialekte. Es kommt also zur Ausbildung regionaler Standardvarietäten. Diese unterschichten die nicht-regionalisierte Standardsprache, ohne diese allerdings zu verdrängen. Die Orientierung an nationalen Standardvarietäten in Österreich und in der deutschsprachigen Schweiz zeigt, dass die nationalstaatliche Sprachideologie (eine Nation = eine Sprache) nach wie vor gültig ist.
Neben dieser regional "gezähmten" Standardisierung raumgebundener Sprechweisen zeigt sich allerdings auch eine nicht regional gebundene Zunahme von (noch) Non-Standardformen in Situationen, die eindeutig zur Domäne der Standardvarietät gehören. Zu diesen Merkmalen gehören zum Beispiel Kontraktionen, Elisionen und Klitisierungen. Eine empirische Untersuchung zum Gebrauch der Standardsprache in Südwestdeutschland (im Vortrag werden Daten aus Freiburg, Stuttgart und Heidelberg besprochen) belegt, dass solche (im weitesten Sinn) allegrosprachliche Merkmale an Bedeutung gewinnen, während "Dialektmerkmale" zurückgehen.