Prof. Dr. Annette Sabban (Hildesheim)

Phraseme aus textlinguistischer Perspektive: ihre Rolle für die Konstitution und Funktion des Textes

Abstract

Der Vortrag will eine Bilanz bisheriger Untersuchungen zu Phrasemen in Texten ziehen und einige Perspektiven für weitere Untersuchungen aufzeigen. Die Überlegungen beschränken sich auf schriftlich fixierte Texte. Zur Formulierung übergreifender Fragestellungen wird von einem Grundgedanken des klassischen Konzepts der "textbildenden Potenzen" ausgegangen (Cernyseva 1974; Dobrovol'skij 1980, 1987): dem eines funktionalen Zusammenhangs zwischen der Beschaffenheit eines Phrasems und seinem Verwendungspotential im Text. Die hierin angelegte Unterscheidung von Phrasemtyp und Verwendung wird im Verein mit grundlegenden Unterscheidungen im Hinblick auf verschiedene Dimensionen des Textes zu zwei leitenden Fragen ausdifferenziert:

Die erste Frage zielt auf das Vorkommen von Phrasemen. Dessen umfassende Beschreibung müsste auf folgende (Teil-)Fragen Antwort geben: (1) Welche Typen von Phrasemen finden sich bevorzugt (2) in welcher Erscheinungsform (lexikalisierte Normalform oder Modifikation) (3) mit welcher Häufigkeit und (4) in welcher Textsorte bzw. welchem Teiltext / an welcher Stelle im Text?

Die zweite Frage richtet sich auf die Rolle der - in einer bestimmten Weise und in einem bestimmten Umfeld verwendeten - Phraseme für den Text. Dabei wird zwischen Textkonstitution und Textfunktion unterschieden. Die "Textkonstitution" umfasst neben der thematischen Dimension insbesondere die sprachliche Dimension (Text als textum, Texthaftigkeit), darüber hinaus aber auch das Herstellen des Textes und die Reflexion des Verfassers über die verwendeten Mittel. Unter der "Funktion" des Textes werden seine kommunikative und interaktive Dimension verstanden.

Als wichtig für manche Textverwendungen erweisen sich der Anspielungscharakter (intertextuelle Dimension), das Evozieren von für die Textaussage nicht eigentlich relevanten, auch bildhaften Vorstellungen oder auch die intendierte Revision einer Lesart durch den Rezipienten im Verlauf der Textlektüre. Derartige Verwendungsweisen fordern eine Erweiterung des prototypischen Verständnisses vom Text als eines ausschließlich zweckrational angelegten und vom Produkt hier beschreibbaren Ganzen.