Die Übersetzung von usuellen und nicht usuellen Wortverbindungen vom Deutschen ins Englische: Eine korpusgestützte Untersuchung
Abstract
In dieser Studie wird die Übersetzung von Kollokationen untersucht, die das Lemma AUGE und verschiedene Verben des Öffnens und des Schließens verbinden. Als Datenquelle für die Studie dient GEPCOLT - ein Parallelkorpus von 2 Mio. Wörtern (Tokens), der aus literarischen deutschen Texte und deren Übersetzungen ins Englische besteht. Es wird aufgezeigt, dass verglichen mit den englischen Texten die deutschen Texte eine größere Vielfalt an Verben benutzen, um das Öffnen der Augen zu beschreiben. Zu diesen Verben gehören sowohl das neutrale ÖFFNEN als auch die konnotativ belegten Verben AUFREIßEN, AUFSCHLAGEN, AUFMACHEN, AUFSPERREN usw. In den englischen Texten dagegen herrscht die Tendenz vor, diese Verben mit der Grundvokabel OPEN, mit oder ohne adverbiale Ergänzung, zu übersetzen. Phrasal verbs, wie z. B. SNAP OPEN, werden nur selten benutzt. Kommt das Lemma AUFREIßEN in einer Substantivgruppe vor (z. B. in der Wortverbindung mit (weit) aufgerissenen Augen), sind die Übersetzungen vielfältiger. Während SCHLIEßEN das gebräuchlichste Verb des Schließens ist und im Zusammenhang mit Augen am häufigsten im Korpus vorkommt, sind auch andere Verben, wie z. B. ZUMACHEN and ZUDRÜCKEN, zu finden. Diese Verben werden oft mit CLOSE übersetzt; SHUT wird ebenfalls sehr häufig verwendet und scheint in diesem Fall ein volles Synonym von CLOSE zu sein. Die Wahl zwischen CLOSE und SHUT ist meistens übersetzerabhängig. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Studie liegt in der Untersuchung ungewöhnlicher Formulierungen bekannter Kollokationen. Obwohl diese verhältnismäßig selten vorkommen, kann ihre Verwendung viel über das Übersetzungskonzept von ÜbersetzerInnen aussagen.
Die Auswirkungen dieser Ergebnisse für die Übersetzungswissenschaft und Praxis werden im zweiten Teil dieser Studie unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht. Erstens wird herausgestellt, wie Standardübersetzungen Fälle von Delexikalisierung in der Ausgangssprache veranschaulichen können. Zweitens wird gezeigt, dass verschiedene formale Realisierungen derselben semantischen Kollokation mehr oder weniger stabile Übersetzungen produzieren können. Drittens wird gefragt, ob die hier vorliegenden Ergebnisse die Vorstellungen in Frage stellen, dass ÜbersetzerInnen Wiederholungen vermeiden, und dass im Vergleich zum Englischen literarisches Deutsch "niedrigere" Sprachebene weniger toleriert. Zum Schluß wird betont, wie nützlich diese Art von Analyse für Studien über den Stil individueller ÜbersetzerInnen sein kann. Das heißt, es wird dargelegt, dass die konsequente Verwendung eines bevorzugten Wortes ein Element des individuellen Stils eines Übersetzers/einer Übersetzerin ist.