Prof. Dr. Vilmos Ágel (Szeged)

Wortverbindungen und Valenztheorien - mehr oder weniger fest

Abstract

Valenztheorie und Phraseologieforschung haben sich nichts vorzuwerfen: Valenzprobleme standen nie im Zentrum phraseologischer Forschungsaktivitäten, umgekehrt kümmerte die Valenztheorie sich nur am Rande um phraseologische Fragen. Entsprechend liegt die Darstellung valenztheoretischer Probleme in phraseologischen Arbeiten hinter dem aktuellen Forschungsstand in der Valenztheorie und die Darstellung phraseologischer Probleme in valenztheoretischen Arbeiten hinter dem aktuellen Forschungsstand in der Phraseologieforschung zurück. Dabei gibt es (a) eine ganze Reihe bemerkenswerter Parallelen in der Geschichte von Valenztheorie und Phraseologieforschung, die allein schon eine engere Zusammenarbeit nahe legen, und (b) auch eine ganze Reihe (potenziell) gemeinsamer und/oder (potenziell) gemeinsam zu bearbeitender Themen, Probleme und Desiderate (empirischer wie theoretischer Art). Diese können aber wohl nur dann erfolgreich in Angriff genommen werden, wenn sich bei der Zusammenarbeit verstärkt auf Erkenntnisse von "Drittgebieten" wie Sprachtheorie, Sprachtypologie, Grammatiktheorie, Sprachgeschichtsforschung, Kognitive Psychologie, Soziolinguistik, Gesprochene-Sprache-Forschung, Prosodieforschung usw. gestützt wird.

Die Parallelen in der Forschungsgeschichte könnten in drei größere Gruppen eingeteilt werden: 1. Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes; 2. Verlagerung des Forschungsinteresses und 3. (explizierte oder latent gebliebene) theoretisch-methodologische Implikationen oder Konsequenzen von 1 und/oder 2.

Was Letztere anbelangt, sind eine theoretisch-methodologische Pluralisierung und eine mit dieser eng verbundene Besinnung auf Grundsatzfragen zu verzeichnen. Dabei werden nicht nur die Grenzen der "traditionellen" (idiosynkratisch-lexikologisch-einzelsprachlich orientierten und beschreibenden) Phraseologieforschung bzw. der "traditionellen" (idiosynkratisch-lexikosyntaktisch-einzelsprachlich orientierten und beschreibenden) Valenztheorie überschritten, sondern mitunter werden deren Gegenstandsperspektivierungen überhaupt in Frage gestellt. Infolgedessen dürfte für jede Art von Zusammenarbeit die Frage nicht unerheblich und höchst aktuell sein, welche Phraseologieforschung mit welcher Valenztheorie zusammenarbeiten kann, muss oder sollte.

Um den Bestand an (potenziell) gemeinsamen und/oder (potenziell) gemeinsam zu bearbeitenden Themen, Problemen und Desideraten zu erfassen, ohne dabei das Gastrecht zu missbrauchen, soll der Versuch unternommen werden, sowohl den Blickwinkel der Phraseologieforschung auf Valenz und Valenztheorie als auch die Sicht der Valenztheorie auf Phraseologismen und Phraseologieforschung einzunehmen. Im Anschluss an eine Bestandsaufnahme valenzbezogener Themen in der Phraseologieforschung und phraseologiebezogener Themen in der Valenztheorie werden valenzbezogene Probleme und Desiderate in der Phraseologieforschung aus der Sicht der Valenztheorie bzw. phraseologiebezogene Probleme und Desiderate in der Valenztheorie aus der Sicht der Phraseologieforschung und auch der Valenztheorie anzusprechen sein. Dabei übertrifft die Fülle von potenziellen Themen, Problemen und Desideraten alle Erwartungen, sodass nicht einmal eine erschöpfende Aufzählung geboten werden kann:

1. Phraseologieforscher könnten Antworten z.B. auf die folgenden Fragen erwarten: Warum befasst sich die Valenzforschung nur mit einigen wenigen (referentiell-nominativen) Klassen von Phraseologismen? Wäre eine Gegenstandsextension angebracht? Kann die Valenzforschung wenigstens zu den erforschten Klassen etwas Neues sagen? Überhaupt: Wie kann der Status phraseologischer Valenzträger in einer Valenzträgertheorie bestimmt werden? Wie geht die Valenzforschung mit Variation, Modifikation und der Problematik der (teilweisen) Selbstständigkeit von Idiomkonstituenten um? Können moderne Vorstellungen von Valenzpotenz und Valenzrealisierung für die Phraseologieforschung nutzbar gemacht werden. Gibt es neue Lösungsvorschläge für die komplexe (empirische wie theoretische) Problematik der sog. internen/externen Valenzen? Kann die Valenztheorie einen Beitrag zum Abbau des idiosynkratischen Phraseologieverständnisses leisten?

2. Umgekehrt wären aus valenztheoretischer Sicht etwa die folgenden Fragen besonders interessant: Warum wird eine ganze Reihe polylexikalischer Einheiten, die unter bestimmten theoretischen Bedingungen den Minimalkriterien von Phraseologizität entsprechen, aus der Phraseologie ausgeklammert? Gelten die ursprünglich auf referentielle Phraseologismen gemünzten Kriterien von Phraseologizität auch für pragmatische Phraseologismen? Überhaupt: Warum werden sprach- und grammatiktheoretische Überlegungen nicht stärker bei der Gegenstandskonstruktion berücksichtigt?

Wie erwähnt, sollte jedoch das Gastrecht nicht missbraucht werden. Aus diesem Grunde wird das Gewicht auf mögliche valenztheoretische Beiträge zur Lösung von phraseologischen Problemen gelegt.