Prof. Dr. Petra Braselmann (Innsbruck)

Gleiches Recht für alle - in allen Sprachen? Sprachprobleme in Urteilen des EuGh

Abstract

Anders als in früheren mehrsprachigen Vertragssituationen, wie z.B. im Völkerrecht oder im Montanvertrag (Europäische Gemeinschaft für Kohl und Stahl), bei denen zwischen amtlichen Übersetzungen (gleichwohl juristisch bindenden) und einer Urfassung unterschieden wird, gelten im EU-Recht die verschiedenen sprachlichen Fassungen - gegenwärtig 11 Versionen, nach der zu erwartenden Osterweiterung wird sich diese Zahl erhöhen - als gleichermaßen verbindliche und authentische Gesetzestexte. Dieses Ideal der mehrfachen Authentizität will die prinzipielle Gleichheit und Souveränität aller Mitgliedstaaten im Gemeinschaftsrecht dokumentieren. De facto handelt es sich um Übersetzungen: denn überwiegend erfolgt die Ausarbeitung der Verträge auf Englisch, die definitive Formulierung auf Französisch. Die Analyse einzelner Urteile des EuGh zeigt die Probleme, mit denen die Rechtsbeauftragten konfrontiert sind, die darüber hinaus selten über alle 11 Amtssprachen gleichermaßen verfügen. Die Divergenzen zwischen den Übersetzungen sind keine linguistischen Spielereien, sondern haben konkrete wirtschaftliche Auswirkungen: während z.B. biologischer Anbau in Deutschland den 'Verzicht auf den Einsatz von Kunstdünger, Unkraut oder Insektenvernichtungsmittel' impliziert, erfordern die entsprechenden Termini in Portugal und Spanien lediglich den 'Anbau außerhalb von Treibhäusern'. Dies bedeutet, dass unterschiedliche nationale Auflagen zu gleichen EU-Subventionen führen können, was, wie der Jurist Armbrüster (1990: 246) betont, die Betroffenen am "gleichen (Gemeinschafts-) Recht für alle" mit Bestimmtheit zweifeln läßt. Die Gleichberechtigung von z.Zt. 11 sprachlichen Urversionen muss eine ideale Forderung bleiben (Poulsen 2000: 92) - ganz abgesehen von der Sonderstellung, die das Französische (und Englische) in den europäischen Institutionen haben.