Prof. Dr. Horst-Haider Munske (Erlangen)

Fremdwörter in deutscher Sprachgeschichte: Integration oder Stigmatisierung

Abstract

Was haben Fremdwörter und Fremdarbeiter gemeinsam? Ausgehend von dieser Frage und einer Kritik an der gängigen Terminologie werden am Beispiel der deutsch-lateinischen Sprachkontakte von der germanischen Frühzeit bis zur eurolateinischen Lehnwortbildung verschiedene Phänomene der Integration und Stigmatisierung behandelt. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Beachtung unterschiedlicher Arten von Latein und verschiedener Typen von Sprachkontakten.

Ein grundlegender Wandel beginnt im ausgehenden Mittelalter mit der fortschreitenden Alphabetisierung im neuen Papier- und Lesezeitalter, der Standardisierung der Schriftsprache und insbesondere der humanistischen Ideologisierung von Sprache. Den bis dahin wenig reflektierten Entlehnungen im deutsch-lateinischen Sprachenkontakt tritt jetzt in der Sprachreinigungsbewegung der Sprachgesellschaften ein Widerpart im Bewußtsein der Sprachgemeinschaft entgegen. In Joachim Heinrich Campes 'Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke' vom Jahre 1801 schlägt partriotische Sprachpflege in nationalistische Stigmatisierung der Fremdwörter um. Sein Wörterbuch leitet eine Dichotomisierung von Erb- und Fremdwortschatz in deutscher Lexikographie ein, die auch die Sprachbeschreibung und den Unterricht deutscher Sprache über mehr als anderthalb Jahrhunderte einseitig geprägt hat.

Ich schließe mit der Frage: Kann man aus der Sprachgeschichte lernen?