Einführungsrede von Karlheinz Müller:

Facetten einer Stadt

Karlheinz Müller bei der Ausstellungseröffnung am 25. Oktober 2007

Arbeiten von Artur Kurkowski

Ausstellung vom 25. Oktober 2007 bis zum 25. Februar 2008 im Institut für deutsche Sprache (IDS), R5, 6-13, 68161 Mannheim

Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung vom 25. Oktober 2007 von Karlheinz Müller

Geboren 1970 in Danzig siedelt Artur Kurkowski 1977 in die BRD über. Er wächst von da an in Ludwigshafen-Oggersheim (bezeichnenderweise in einer Neuen-Heimat-Siedlung) auf, wo er auch die Schule besucht.

Ab 1988 studiert er an der Kunstschule Rödel in Mannheim. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema "Selbstportrait" erfolgt unmittelbar nach Beginn des Fachstudiums. Währen des Studiums finden Aufenthalte an der französischen Atlantikküste und in Danzig statt. Dort kommt es zu Begegnungen mit Professoren, Kollegen und Studenten. Die entstandenen Werke werden in Ausstellungen vor Ort gezeigt.

Ab 1998 arbeitet er als Pflegeassistent im ambulanten Pflegedienst Roll-in.

1999 folgt das Studium an der freien Kunstschule Rhein-Neckar in Mannheim, in dessen Verlauf er sich mit verschiedenen Medien wie Foto, Video, Installationen, Bildhauerei und den verschiedenen Drucktechniken auseinandersetzt.

Im gleichen Jahr erhält er den Kiwanis-Förderpreis.

2004 absolviert er ein Praktikum für Bühnenbild am Nationaltheater Mannheim.

2007 wird er Mitglied im Bezirksverband des BBK (Berufsverband Bildender Künstler) Mannheim.

Seit den Achtziger Jahren fanden eine Vielzahl von Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen im Rhein-Neckarraum statt.

Die hier ausgestellten Gemälde wurden zusammengefasst unter dem Titel "Facetten einer Stadt" und stellen ihrerseits eine Facette im künstlerischen Schaffen Artur Kurkowskis dar.

Die Ausstellung setzt sich aus zwei Themenbereichen zusammen: Zum einen aus der Serie der "Fassadenbilder" und zum anderen aus der Serie der "Wolkenbilder".

Wenn man nur die hier aus den genannten Serien gezeigten Bilder Artur Kurkowskis kennt, verwundert es beim Betrachten seines Gesamtwerkes, dass die Mehrzahl seiner sonstigen Bilder figurativen Darstellungen vom Einzel- bis hin zum "Massenportrait" (Arena-Banderole - 2005/07 Klinikum Mannheim) vorbehalten ist.

Und hier nun eine Ausstellung mit Bildern, auf denen der Mensch ausgespart bleibt?
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Den Menschen als figuratives Abbild sucht man auf diesen Bildern zwar vergebens, aber als Thema ist er in seiner Verborgenheit hinter den Mauern allgegenwärtig.

Auf den ersten Blick sehen wir auf den Fassadenbildern lediglich Ausschnitte städtebaulicher Architektur, wie sie für den hiesigen Raum typisch ist: Bürgerliche Jugendstilfassaden, schlichte fünfziger Jahre Wohnungsbauten sowie siebziger Jahre Hochhausfassaden im Stile der Neuen Heimat.

Die bewusst ausgewählten Ausschnitte der Fassaden, bei welchen Fotografien als Vorlage dienten, sind auf das vom Künstler bevorzugte Format 40 x 40 cm übertragen und in diese Fläche gekonnt hineinkomponiert. Sämtliche Bilder sind in der Technik Acryl auf Leinwand ausgeführt, wobei die realistische Wiedergabe des Gegenständlichen in ihrer leicht plakativen Ausprägung, ihrer an manchen Stellen geometrisch überzeichneten Strenge und ihrer farblichen Brechung eine von der visuellen Realität abweichende, eigene Atmosphäre erzeugt.

Die so erzeugte "sachliche" Atmosphäre der Anonymität und Kälte, des Von-Allen-Menschen-Verlassenseins, macht die Realität hinter den Fassaden sinnlich erahnbar. Dieser Eindruck verstärkt sich um ein Vielfaches in der Reihung der Motive, was durch die Beschränkung des Künstlers auf das stets gleiche Format 40 x 40 cm noch unterstrichen wird.

In dieser Reihung der Motive wird ein weiterer, im Alltag als unschön empfundener und hier ästhetisch in den Bildaufbau eingebundener Fakt augenfällig: Fast alle diese Fassaden sind mit Satellitenschüsseln versehen. Diese Satellitenschüsseln sind zwar nicht der einzige Hinweis auf die Bewohner hinter den Fassaden, so gibt es Gardinen und halb geöffnete oder gekippte Fenster als Zeichen des Lebens hinter den Mauern, aber sie sind der entscheidende Hinweis auf deren Versuch Verbindung zur Außenwelt aufzunehmen. Sie sind sichtbarer Ausdruck der Sehnsucht der Bewohner nach Kommunikation, die ironischerweise mit Hilfe der Satellitenschüsseln jedoch nur sehr einseitig gestillt werden kann.

Besonders gehäuft finden sich solche Fassaden in Wohnvierteln mit hohem Migrantenanteil, weshalb Artur Kurkowski die Serie der Fassadenbilder auch unter dem Begriff "Asylon" zusammengefasst hat.

Die Schüssel schafft die Möglichkeit via Satellit "Verbindung" in die alte, oft verlorene Heimat aufzunehmen, während sich die Kommunikationsmöglichkeiten am Zufluchtsort der neuen Heimat aus den verschiedensten Gründen oft als schwierig bis unmöglich erweisen mögen.

Vielleicht ist es auch nur die vertraute Sprache der alten Heimat die per Fernsehgerät ins Wohnzimmer geholt ein wenig die Sehnsucht nach dem Verlorenen stillt, wenn es der Seele schwer fällt sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.

Ein Thema für das Artur Kurkowski, der als Siebenjähriger von Polen nach Deutschland kam, nicht zuletzt aus eigener Lebenserfahrung eine besondere Sensibilität zu besitzen scheint.

Die Satellitenschüssel an der Hausfassade als Sinnbild für das Verlorensein der Bewohner und deren Sehnsucht nach Vertrautheit und Geborgenheit. Aus rein technischen Gründen sind diese Schüsseln alle gen Himmel gerichtet, auf jenen Ort, in dessen metaphysischer Bedeutung alle Sehnsüchte in Erfüllung gehen können, der Heimat alles Transzendenten.

Der Himmel in Form von Wolken ist Gegenstand der zweiten Bilderserie dieser Ausstellung. Auch diese Bilder sind alle in Acryl auf Leinwand gemalt, wobei unter Beibehaltung des Grundrasters von 40 x 40 cm die einzelnen Motive zu Großformaten verschiedener Außenmaße zusammengesetzt sind.

Auf den ersten Blick sehen wir auch hier realistisch wiedergegebene Natur. Aber diese Wolkenbilder sind mehr als aufgezeichnete meteorologische Phänomene. Wir sehen Wolkenbilder, die man noch als Landschaften bezeichnen könnte. Der Horizont ist weit nach unten gezogen, die Wolken nehmen fast die komplette Bildfläche ein. Falls sich am unteren Horizont noch Hinweise auf Zivilisation zeigen, so wieder in Form von Architektur, die trotz ihrer Hochhäuser und Atommeiler klein und verschwindend unter der mächtigen Himmelsdecke erscheint. Der Mensch bleibt darin verborgen und unsichtbar.

Die reinen Himmelsbilder zeigen Wolkenformationen von großer Dynamik, die in ihrer Farbgebung sanft übersteigert und kraftvoll ausgeprägt sind. Zugleich vermitteln sie durch ihre ausgewogene Komposition auf der Bildfläche Ruhe und Harmonie. Dieser Gegensatz findet seine Entsprechung in der gleichmäßig rhythmischen Gliederung der Bildfläche in einzelne Quadrate, die den Gegenstand zerteilen und zugleich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. In dem so erzeugten Spannungsfeld wird der Himmel gleichsam zum Spiegelbild widersprüchlicher seelischer Empfindlung: Bedrohung und Weite, Bewegung und Ruhe, Fern- und Heimweh. Der blaue Himmel wird zum Hort romantischer Zerrissenheit.

In einem weiteren Himmelsbild nimmt der Betrachter dann auch folgerichtig einen Standort zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde ein. Vor seinem Auge entsteht eine Art doppelter Horizont: Der eine oben in den Wolken, der andere unten auf der Erdoberfläche. Nüchtern betrachtet könnte man sagen wie der Blick aus einem Flugzeug, aber eine solche Reduzierung auf das rein Gegenständliche wird dem gemalten Pathos nicht gerecht. Die Ergriffenheit von der Tatsache, sich in den Wolken zu befinden, ist offensichtlich.

Mit der Möglichkeit, den Himmel per Flugzeug zu bereisen, mag dieser zwar als Heimat geflügelter Wesen, wie man ihn aus barocken Darstellungen kennt, unbrauchbar geworden sein, aber das himmlische Blau als romantische Farbe der Ferne und der Sehnsucht, ist uns in seiner emotionalen Fülle erhalten geblieben.

Karlheinz Müller, M.A.